Ausgerechnet Italien! Dass Altmeister Alejandro Valverde seine Radsport-Karriere am Samstag nach 21 Profijahren bei der Lombardei-Rundfahrt ausklingen lässt, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Schließlich waren es doch die italienischen Dopingfahnder, die Valverde zwei Jahren seiner mit großen Erfolgen geschmückten Laufbahn kosteten.
2008 hatten die emsigen Ermittler einen Abstecher der Tour de France nach Prato Nevoso genutzt, um Valverde Blut abzunehmen. Und siehe da: Der DNA-Abgleich passte zu den Blutbeuteln aus dem Labor des Dopingarztes Eufemiano Fuentes mit der Aufschrift „Piti Valv“. Piti soll der Name des deutschen Schäferhundes des Spaniers gewesen sein, was Valverde abstritt, genauso wie einen direkten Kontakt zu Fuentes. Doch alle Einsprüche und Dementis nutzten auch vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas nichts.
Valverde ist seitdem allen Dopingfragen entflohen, wie oftmals den Konkurrenten auf dem Rennrad. Nach seiner Sperre 2011 machte der Mann aus Murcia einfach da weiter, wo er vorher unfreiwillig aufgehört hatte. Insgesamt brachte es Valverde auf 133 Profisiege, mehr als jeder andere Spanier. Sei es der große Miguel Indurain, Pedro Delgado oder Alberto Contador. Entsprechend wurde der 42-Jährige jüngst bei der Vuelta fast jeden Tag euphorisch am Straßenrand gefeiert, was „sehr emotional“ gewesen sei.
Denn Valverde hatte die spanischen Radsport-Fans zwei Jahrzehnte lang mit Siegen verwöhnt. Er gewann Frühjahrsklassiker wie Lüttich-Bastogne-Lüttich (viermal) oder den Flèche Wallonne mit dem steilen Finale an der Mur von Huy (fünfmal). Er triumphierte bei großen Rundfahrten wie der Vuelta (2009) oder bei kleineren wie in Katalonien (dreimal). Er holte zahlreiche Etappensiege bei der Tour oder der Vuelta und er wurde zur Krönung 2018 Weltmeister. Im Alter von 38 Jahren bei der WM in Innsbruck, als zweitältester Radprofi nach Joop Zoetemelk, nachdem er zuvor sechsmal auf das Podest gefahren war.
Valverde war ein kompletter Rennfahrer. Und zu diesem kompletten Bild passt auch irgendwie, dass seine Vita dunkle Flecken aufweist. Denn als Valverde 2002 seine Karriere im umstrittenen Kelme-Team begann, hat er sich mit Fahrern wie Lance Armstrong, Jan Ullrich oder Alexander Winokurow gemessen. Zu den dunklen Jahren im Radsport hat Valverde stets geschwiegen, was wohl auch daran lag, dass er in seiner Heimat nicht oft danach gefragt wurde.
Beachtlich war seine Laufbahn aber allemal. Gemessen allein an den Rennkilometern umrundete er fünfmal die Erde. Kollegen wie Rivalen waren stets beeindruckt von seiner Fitness. „Wenn wir alle gelitten haben, war Alejandro immer noch frisch“, sagte einst Oscar Pereiro, der Tour-Sieger von 2006. So brachte er es auf 32 Starts bei großen Rundfahrten. „Ich habe im Radsport alles erreicht. Jetzt kann ich mich beruhigt zurückziehen“, sagt Valverde. Schon in Jugendzeiten räumte er reihenweise Siege ab, was ihm den Spitznamen „El Imbatido“ („der Ungeschlagene“) einbrachte. Trotzdem blieb Valverde immer bescheiden. Wenn es nicht mit der Radsport-Karriere geklappt hätte, wäre er Lastwagen-Fahrer geworden wie sein Vater, sagt der Allrounder.
Valverde hatte aber auch sportlich schwierige Stunden. So hatte er über depressive Phasen nach seiner Doping-Sperre berichtet und 2017 nach einem schlimmen Sturz zum Tour-Auftakt in Düsseldorf bereits das Ende seiner Karriere befürchtet. Damals hatte der Routinier einen Kniescheibenbruch erlitten. „Ich schaute auf mein Knie. Ich dachte, sie müssten mir eine Prothese anlegen. Das war der schlimmste Moment, diese 15 Minuten auf dem Boden“, erzählt Valverde. Ein halbes Jahr später war er wieder da. Valverde fuhr immer weiter. Was aus Piti geworden ist, wurde nie aufgelöst. Eine Episode, die der schweigsame Radstar wohl immer für sich behält.
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