Flaggen in Regenbogenfarben, Schilder wie „Liebe ohne Grenzen“ oder zwei Männer, die sich auf den Mund küssen: Diese Bilder sorgen bei einem kleinen, aber dafür lauten Teil der Gesellschaft regelmäßig für reichlich Puls. Jetzt im Juni, dem sogenannten Pride Month, finden wieder zahlreiche Christopher Street Day-Paraden auf deutschen Straßen statt. Doch während die queere Gemeinde ihre Identität und Vielfalt feiert, muss sie aufpassen, nicht beleidigt oder verprügelt zu werden. Denn Hass und Hetze könnten im Wahljahr 2024 zunehmen.
„Jetzt gerade ist die Gefahr von Rechtsaußen für queere Menschen immens und darf nicht unterschätzt werden. Besonders in Ostdeutschland spitzt sich die Lage auch durch den Entzug von Finanzierung für queere Projekte zu“, erklärt Kerstin Thost vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD).
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland laut Bundesinnenministerium im Schnitt täglich vier Vorfälle queerfeindlicher Hasskriminalität gemeldet, die Dunkelziffer ist laut Expertinnen und Experten hoch. Eine deutliche Mehrheit der Täterinnen und Täter, die die Polizei zuordnen konnte, kommt dabei laut Statistik aus dem rechten Spektrum - rund zehnmal so viel wie Tatverdächtige mit ausländischer oder religiöser Ideologie.
Gerade bei jungen, männlichen Tätern spiele die eigene Identitätsbildung eine Rolle, sagte Nico Mokros vom Institut für Gewaltforschung der Uni Bielefeld der „Zeit“. „Die Täter versuchen, ihre eigene vermeintlich besonders maskuline oder heterosexuelle Identität unter Beweis zu stellen und aufzuwerten.“
Auch auf CSD-Paraden, zu denen im vergangenen Jahr laut LSVD so viele Menschen wie noch nie kamen, gab es vermehrt Beleidigungen und tätliche Angriffe. Doch die queere Gemeinde will sich von den Angriffen nicht kleinkriegen lassen - im Gegenteil. Das sächsische Pirna soll in diesem Sommer symbolisch für den Zusammenhalt gegen Hass und Hetze stehen, vor allem von Rechts.
Der 40.000-Einwohner-Ort bei Dresden, der als Tor zur Sächsischen Schweiz gilt, hat seit wenigen Monaten mit Tim Lochner einen Oberbürgermeister, der von der AfD nominiert wurde. Der 54-Jährige brachte in einem mittlerweile gelöschten Facebook-Post das Hissen der Regenbogenfahne in Verbindung mit Hakenkreuzfahnen. Schon nach seiner Wahl kündigte er an, zum CSD keine Regenbogenfahne mehr am Rathaus zu hissen.
Dadurch hätten sich viele im Ort ermutigt gefühlt, gegen queere Menschen zu hetzen, sagt Klaus Elgner, stellvertretender Vorsitzender vom CSD Pirna. „Der Hass im Netz hat dieses Jahr ganz besonders zugenommen. Kommentare wie, wir seien krank, gehörten verboten, ab ins Lager, damals hätte man uns erschossen und so weiter nehmen täglich zu.“
Die Dragqueen Meryl Deep organisiert aus diesem Grund zum CSD in Pirna am 13. Juli Busfahrten aus Köln. Unterstützt wird die Aktion unter anderem von Komikerin Carolin Kebekus und Moderatorin Bettina Böttinger. Aus dem ganzen Land sollen Menschen nach Sachsen fahren, um die queere Gemeinde dort zu unterstützen.
„Es zeigt uns, dass wir trotz allen Problemen und Anfeindungen nicht allein da stehen, sondern auch Rückhalt für uns besteht“, freut sich Elgner über die „Tour für Toleranz“. „Oberbürgermeister Lochner hat mit seinen Äußerungen nun das Gegenteil von dem erreicht, was er doch eigentlich gewollt hatte.“
Auch der Content Creator und Aktivist Fabian Grischkat plant, nach Pirna zu reisen. Der 23-Jährige sorgt derzeit mit einer kreativen Aktion für Unmut in der rechten Szene. Dabei geht es um die Deutungshoheit über den Begriff Pride Month.
In diesem Monat wird traditionell die queere Gemeinschaft gefeiert - mit Veranstaltungen, Paraden und Feiern, die darauf abzielen, die Gleichstellung zu fördern und gegen Diskriminierung vorzugehen. Der Juni wurde als Pride Month gewählt, um an die Stonewall-Aufstände zu erinnern, die im Juni 1969 in New York stattfanden und als wichtiger Wendepunkt in der queeren Bürgerrechtsbewegung gelten.
Die rechte Szene hatte im vergangenen Jahr die Gegenbewegung „Stolzmonat“, die deutsche Übersetzung des Pride Month, ins Leben gerufen. Unter diesem Begriff teilen Menschen in sozialen Medien hasserfüllte Botschaften, in Online-Shops werden entsprechende Shirts und Flaggen verkauft.
Grischkat meldete den Begriff nun seinerseits beim europäischen Markenamt an und verkauft im Internet queere Utensilien für den guten Zweck - zum Unmut der rechten Szene. „Die Aggressivität der Reaktionen hat für mich eine neue Dimension erreicht. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren sehe ich eine Radikalität, die zunimmt“, sagt der in Berlin lebende Influencer der dpa.
„Das liegt auch daran, dass Parteien wie die AfD prominente Gesichter haben, die selbst versuchen, diese Grenzen immer wieder auszutesten und manchmal darüber hinausschießen. Das sind die geistigen Brandstifter für diejenigen, die queere Menschen wie mich im Internet beleidigen oder sogar im echten Leben angreifen.“
Die Rückeroberung des „Stolzmonats“ und die Solidarität mit Pirna sind Beispiele dafür, wie die queere Gemeinde sich Hass und Hetze entgegenstellt. „Wir dürfen uns von solchen Fanatikern nicht einschüchtern lassen und müssen uns gegen solche Aktionen wehren. Diese Verrohung der Gesellschaft wollen wir nicht mehr in Deutschland“, sagt Grischkat.
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