Jahrelang durften Gämsen, Reh- und Rotwild in einigen oberbayerischen Waldgebieten teils ganzjährig gejagt werden. Möglich machte dies eine Schonzeitausnahmeregelung der Regierung von Oberbayern. Diese Verordnung sorgte für Streit zwischen Verbänden und Behörden und beschäftigte Gerichte. Nun ist sie aufgehoben, der Streit geht weiter.
Durch Ausnahmeregelungen zur Schonzeit in den Sanierungsgebieten der alpinen Schutzwälder sollte Wildverbiss an jungen Bäumen eingedämmt werden - um die Schutzwälder zu schützen.
Als Schutzwälder gelten solche, die tiefer liegende Siedlungen, Infrastruktur und Landschaft vor Erosion, Muren- und Lawinenabgängen schützen sollen. Den Bayerischen Staatsforsten zufolge dienen etwa 60 Prozent der Gebirgswaldflächen als Schutzwald.
Naturschutzverbände wie der Bayerische Jagdverband und der Verein Wildes Bayern kritisierten unter anderem den Zuschnitt der Flächen, für die die Verordnung bestand und gingen gegen die Regelung gerichtlich vor. Der Bund Naturschutz (BN) hatte sich für die Schonzeitverordnung ausgesprochen.
Die jüngste, 2019 erlassene und im Juli 2024 ausgelaufene Verordnung erklärte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig schließlich im November 2024 rückwirkend für unwirksam. Im Dezember 2024 erließ die Regierung von Oberbayern dennoch erneut eine solche Verordnung.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof kassierte diese im Januar 2025 vorläufig ein. Zum 24. April hob sie die Regierung von Oberbayern nun auf, wie ein Sprecher mitteilte. Eine Nachfolgeverordnung liegt nicht vor. Diese müsste von den Bayerischen Staatsforsten beantragt werden.
Die Staatsforsten teilten mit, es würden nun Handlungsoptionen geprüft. Die Notwendigkeit, die Gams in ausgewählten Gebieten ganzjährig zu bejagen beziehungsweise zu vergrämen, sei unbestritten, sagte ein Sprecher.
Schutzwälder würden durch Anpflanzungen mit einem großen finanziellen, personellen und logistischen Aufwand gepflegt. „Die jungen Pflanzen auf diesen wichtigen Flächen sind auch von Wildverbiss durch Gämsen, Rehe und Hirsche bedroht.“ Eine regelmäßige Bejagung oder Vergrämung - teils ganzjährig - vertreibe das Wild von den Sanierungsflächen, so dass der junge Schutzwald aufwachsen könne.
Es bestehe dringender Handlungsbedarf, sagte Michael Nürbauer, Mitglied im BN - und im Jagdbeirat der Regierung von Oberbayern. Klimawandel und die Ausbreitung des Borkenkäfers erforderten den Waldumbau und dieser das verstärkte Jagen. Probleme wie etwa mit Murenangängen dürften sich in Zukunft verschärfen, umso mehr müsse darunterliegende Infrastruktur geschützt werden. „Hochwasserschutz beginnt im Bergwald“, so Nürbauer. Die Staatsforsten sollten eine neue Verordnung beantragen.
Der Verein Wildes Bayern spricht angesichts der aufgehobenen Verordnung von einem Etappensieg. Es bestünden aber weitere Schonzeitaufhebungen, etwa im Oberallgäu. Auch diesen habe ihr Verein den Kampf angesagt, so Vorsitzende Christine Miller.
Sie kritisiert, dass die Jagd während der Wintermonate und im Frühjahr nicht nur die einzelne erlegte Gams betreffe, sondern alle Tiere im Jagdgebiet. „Ob Auerhahn oder Gamsgeiß, das Leben der Bergbewohner ist von Januar bis April auf Kante genäht. Der Mai steht ganz im Zeichen der Brut- und Setzzeit. Aus genau diesem Grund haben die Gesetzgeber aller Alpenländer in der ersten Jahreshälfte Schonzeiten festgelegt.“
Eine Ausnahme davon müsse nicht nur gut begründet sein. Es müssten auch mögliche schädliche Auswirkungen auf alle betroffenen Wildarten geprüft werden. Weil im Berggebiet viele geschützte und streng geschützte Arten leben, sei diese sogenannte FFH-Vorprüfung die Voraussetzung für etwaige Schonzeitaufhebungen. „Nichts davon ist je passiert! Weder in Oberbayern, noch im Nationalpark Berchtesgaden, noch im Allgäu!“, teilte Miller mit.
Das Aus für die Verordnung ist laut Jagdverbands-Präsident Ernst Weidenbusch eine logische Folge der BJV-Klage und der Urteilsbegründung aus Leipzig. Der Vorgang sei eine Ohrfeige für das Forstministerium, sagte er. Sollte es eine Nachfolgeverordnung geben, müsste diese „auf die echten Sanierungsflächen beschränkt“ sein und die zulässige Jagdausübung detailliert regeln.
Aus Sicht des BJV befördert der erhöhte Jagddruck den Verbiss in den Wäldern, da sich das Wild Schutz suchend in die Wälder zurückziehe und dort an Zweigen knabbere anstatt auf Wiesen zu äsen. Außerdem verbrauchten die Tiere durch das verstärkte Bejagen mehr Energie und müssten mehr fressen.
Der Bund Naturschutz (BN) argumentiert dagegen, ein wichtiges Ziel der Schonzeitaufhebung sei es, durch den erhöhten Jagddruck die Gämsen aus den Sanierungsgebieten in höhere, weniger bewaldete Regionen zu vergrämen.
Laut dem „Forstlichen Gutachten zur Situation der Waldverjüngung 2024“ des Forstministeriums nahmen Schäden durch Wildverbiss in den vergangenen drei Jahren zu, bei der Tanne beispielsweise von 17 auf 23 Prozent.
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