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Veröffentlicht am 12.12.2025 00:06

So passen pflegende Angehörige gut auf ihre Psyche auf

Selbstfürsorge nützt doppelt: Wer als pflegender Angehöriger gut auf sich selbst aufpasst, hat Energie, um für die pflegebedürftige Person da zu sein.  (Foto: Halfpoint/Westend61/dpa-tmn)
Selbstfürsorge nützt doppelt: Wer als pflegender Angehöriger gut auf sich selbst aufpasst, hat Energie, um für die pflegebedürftige Person da zu sein. (Foto: Halfpoint/Westend61/dpa-tmn)
Selbstfürsorge nützt doppelt: Wer als pflegender Angehöriger gut auf sich selbst aufpasst, hat Energie, um für die pflegebedürftige Person da zu sein. (Foto: Halfpoint/Westend61/dpa-tmn)

Fast fünf Millionen Menschen in Deutschland werden zu Hause gepflegt – vom Ehemann, von der Schwester, von der Tochter. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. 

Oft läuft das nicht einfach „nebenbei“, sondern ist eine Aufgabe, die viel Kraft kostet. Damit ihnen die nicht ausgeht, müssen pflegende Angehörige gut auf sich selbst achten. Fünf Fragen und Antworten. 

1. Welche seelischen Belastungen erleben pflegende Angehörige?

So gern man die Pflege auch übernimmt, so selbstverständlich sie einem auch erscheint: Es ist ein Fulltime-Job. Durch die ständige Bereitschaft stehen pflegende Angehörige oft unter einem dauerhaften emotionalen und auch körperlichen Druck. 

„Sie tragen Verantwortung, müssen Entscheidungen treffen und erleben gleichzeitig Ohnmacht, wenn es der pflegebedürftigen Person schlechter geht“, sagt Julia Scharnhorst, die den Fachbereich Gesundheitspsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen leitet. „Häufig kommen Erschöpfung, soziale Isolation und das Gefühl hinzu, selbst zu kurz zu kommen.“

Diesen Zwiespalt erleben Pflegende in mehreren Lebensbereichen: „Der dauernde Widerspruch zwischen Pflege, eigener Familie und dem Hauptjob lässt sich meist nicht zufriedenstellend auflösen“, sagt die Psychologin.

Besonders belastend dabei: Die Pflege hat meist kein klar absehbares Ende. Das kann dann auch zu chronischem Stress führen, der sich im schlimmsten Fall in körperlichen und psychischen Gesundheitsproblemen äußert. 

Dazu kommt der Umgang mit schwierigen Emotionen: „Oftmals gilt es, Gefühle wie Schmerz und Mitleid, Hilflosigkeit, Ärger, Wut und Trauer auszuhalten“, sagt Daniela Sulmann. Sie ist die Geschäftsleiterin in der gemeinnützigen Fachstiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). Wie stark sich pflegende Angehörige belastet fühlen, hängt jedoch von der individuellen Situation ab. 

2. Was sind Anzeichen dafür, dass pflegende Angehörige an ihre Grenzen geraten?

Eine Überlastung kann auf verschiedene Arten zum Ausdruck kommen. „Zum einen können körperliche Symptome Anzeichen für Überlastung sein“, sagt Daniela Sulmann. Dazu zählen etwa: 

  • häufige Kopf-, Rücken- oder Nackenschmerzen
  • chronische Magen-Darm-Beschwerden
  • Herzrasen
  • ständige Müdigkeit

Dazu kommen mögliche psychische Anzeichen für Überlastung wie 

  • Angst
  • Schuldgefühle
  • Unzufriedenheit
  • Gereiztheit
  • Aggressivität

„Gerade, wenn man selbst merkt, dass man gegenüber der pflegebedürftigen Person Aggressionen empfindet, ist es höchste Zeit mehr auf Abstand zu gehen und für sich selbst zu sorgen“, sagt Julia Scharnhorst. 

Das Gleiche gelte für Gleichgültigkeit oder das Gefühl, nur noch funktionieren zu müssen. „Wer merkt, dass er kaum noch Freude empfindet oder sich selbst keine Pausen mehr erlaubt, sollte aufmerksam werden“, sagt die Psychologin. 

3. Was können pflegende Angehörige tun, um ihre mentale Gesundheit zu stärken?

„Wichtig ist, dass pflegende Angehörige ihre eigene Gesundheit als Teil der Pflegeaufgabe verstehen“, sagt Julia Scharnhorst. Dafür empfiehlt sie kleine Erholungsinseln im Alltag - etwa einen Spaziergang, Atemübungen oder den Austausch mit Freunden. 

Darüber hinaus ist es wichtig, sich zeitliche Grenzen zu setzen, nach dem Motto: Wie viel Stunden Pflege kann ich leisten? „Ist diese Grenze erreicht, heißt es nicht einfach immer mehr zu tun, sondern Unterstützung zu suchen“, sagt Julia Scharnhorst. 

Entlastung bei der Pflege bieten nicht nur andere Angehörige, sondern auch Pflegedienste oder Hilfsmittel. Am besten nimmt man Kontakt zu einer Pflegeberatung auf, um herauszufinden: Was kann den Pflegealltag erleichtern? 

Und was unterstützt die Seele? Psychische Entlastung bieten etwa Familienberatungsstellen, Selbsthilfegruppen und Gesprächskreise für pflegende Angehörige. „Außerdem können Sie bei der Krankenkasse nach Kursen zur Entspannung und zum Stressmanagement fragen“, sagt Daniela Sulmann. 

„Wichtig ist, von vornherein Unterstützungsangebote zu nutzen, konsequent Auszeiten zu nehmen und auf Anzeichen für Überlastung frühzeitig zu reagieren“, fasst die Pflegeexpertin zusammen.

4. Pflegende Angehörige haben oft Schuldgefühle, wenn sie mal an sich denken. Was umgehen damit? 

Womöglich hilft folgender Gedanke: „Selbstfürsorge ist keine Egozentrik, sondern eine Voraussetzung, um langfristig gut pflegen zu können“, sagt Julia Scharnhorst. 

Dennoch sind Schuldgefühle weit verbreitet. Viele denken, sie müssten immer da, immer verfügbar sein. Doch: Sich Pausen zu gönnen und so die Seele zu schützen, komme auch der pflegebedürftigen Person zugute. „Ein hilfreicher Gedanke lautet: Ich tue das nicht nur für mich, sondern auch für den Menschen, den ich pflege“, sagt Julia Scharnhorst. 

Auch Daniela Sulmann rät dazu, sich die doppelte Notwendigkeit der Selbstfürsorge bewusst zu machen: „Das transformiert das Schuldgefühl in Verantwortung für sich und den pflegebedürftigen Angehörigen.“

Hilfreich ist es auch, die Arbeit und Verantwortung zu teilen, sodass die Last nicht auf einem Paar Schultern liegt. „Manchmal ist den Pflegebedürftigen besser damit gedient, wenn professionelle Hilfe einbezogen wird“, so Scharnhorst. 

5. Wie offen sollte man der pflegebedürftigen Person gegenüber zeigen, dass man sich belastet fühlt?

Offenheit ist laut den Expertinnen prinzipiell wichtig. „Erwartungen und Belastungsgrenzen offen zu kommunizieren kann Klarheit schaffen, Missverständnissen vorbeugen und zu einem entspannten Umgang beitragen“, sagt Daniela Sulmann. 

Die Offenheit muss also richtig dosiert werden, so Julia Scharnhorst: „Man sollte die pflegebedürftige Person nicht mit der eigenen Überforderung belasten.“ Wer sich den gesamten Pflegekummer von der Seele reden will, tut das am besten nicht bei der pflegebedürftigen Person, sondern lieber bei einer engen Freundin beispielsweise. 

Gerade Gefühle von Ärger und Unmut sollte man gegenüber der pflegebedürftigen Person lieber für sich behalten, findet die Psychologin, denn „die Pflegebedürftigen fühlen sich oft mit ihrer Hilflosigkeit auch nicht wohl. Machen Sie deutlich, dass Sie auch ein eigenes Leben führen, neben der Pflege.“

© dpa-infocom, dpa:251211-930-412868/1


Von dpa
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