Söder will Bayern „Update“ verpassen | FLZ.de | Stage

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 13.06.2024 05:01

Söder will Bayern „Update“ verpassen

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, nimmt an einer Plenarsitzung teil. (Foto: Sven Hoppe/dpa)
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, nimmt an einer Plenarsitzung teil. (Foto: Sven Hoppe/dpa)
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, nimmt an einer Plenarsitzung teil. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Mit einem umfassenden Entbürokratisierungs- und Beschleunigungsprogramm will Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Wirtschaft im Freistaat ankurbeln, die Energiewende samt Leitungsbau beschleunigen und mehr und schneller Fachkräfte gewinnen. Das kündigte Söder am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Landtag in München an. Beispielsweise sollen das Bau- und das Vergaberecht deutlich entschlackt werden, um Bauvorhaben zu beschleunigen. Neue große Stromleitungen sollen künftig vorrangig über- statt unterirdisch gebaut werden. Und ab 2030 will der Freistaat nach und nach alle bayerischen Uniper-Wasserkraftwerke übernehmen. Für Fachkräfte, die nach Bayern kommen wollen, soll es künftig eine zentrale Stelle als Ansprechpartner geben. Und für Unternehmen, auch Start-ups, soll es mehrere neue Fördermöglichkeiten und -töpfe geben. Söder sprach von einem „Update“ für Bayern.

Söder zeichnete in seiner mehr als einstündigen Rede ein düsteres Bild der wirtschaftlichen Situation in Deutschland - und gab dafür der Ampel-Regierung die Schuld. Man könne aber nicht weiter abwarten, sondern handle: „Stattdessen krempeln wir die Ärmel hoch.“

50 Neuerungen und rund 100 Entbürokratisierungsvorschläge enthalte das Paket, sagte Söder. Das Ganze sei aber ein Prozess. Für 2025 rechnete er zunächst mit Kosten von rund 200 Millionen Euro. Es gehe aber vor allem um Strukturen. Die Pläne im Einzelnen:

Entbürokratisierung und Digitalisierung:

Mindestens zehn Prozent aller Verwaltungsvorschriften sollen gestrichen werden. Und wie bereits angekündigt will Söder die Paragrafenbremse verschärfen: Für ein neues Gesetz sollen künftig zwei bestehende gestrichen werden. Neue Gesetze werden zudem mit einer Gültigkeit von fünf Jahren versehen und müssen dann - wenn nötig - verlängert werden. Auch das Datenschutzrecht und Statistik-Pflichten sollen entschlackt werden. Zudem will Bayern die Digitalisierung der Verwaltung - wie bereits angekündigt - beschleunigen.

Baurecht:

Das Baurecht soll entschlackt und vereinfacht werden. Für viele Maßnahmen sollen keine Baugenehmigungen mehr nötig sein, etwa für Dachausbauten oder die Umwandlung von Büroflächen zu Wohnraum. Abstandsflächen sollen flexibilisiert, landesweite Stellplatzpflichten gestrichen werden und Ähnliches mehr. Sogenannte Bagatellgrenzen sollen angehoben werden, damit sollen kleinere Terrassenüberdachungen, Kinderspielplätze oder Fahrradstellplätze verfahrensfrei werden, genauso wie kleinere Freischankflächen.

Staatliche Aufträge:

Das Vergaberecht, bislang in Bayern sehr streng, soll deutlich gelockert werden. Die Grenzen, ab denen große Ausschreibungsverfahren verpflichtend sind, sollen kräftig angehoben werden. Das soll Verfahren beschleunigen und für Unternehmen vereinfachen.

Ehrenamt:

Veranstaltungen von Vereinen sollen künftig im Wiederholungsfall nur noch angezeigt und nicht mehr neu genehmigt werden müssen. Manche Events - etwa Umzüge von Vereinen - sollen kostenfrei werden. Bestimmte Dokumentationspflichten werden abgeschafft.

Bürgerentscheide:

Söder will einen runden Tisch unter Leitung des früheren Ministerpräsidenten Günther Beckstein einberufen, um das System der Bürgerentscheide „weiterzuentwickeln“ - denn das Instrument werde heute oftmals als Blockade eingesetzt, kritisierte er. Man müsse wieder die richtige Balance finden zwischen Allgemeinwohl und Einzelinteressen, sagte er. An dieser Stelle gebe es Diskussions-, Veränderungs- und Verbesserungsbedarf.

Erneuerbare Energien:

Mehr als 85 Wasserkraftwerke, die heute zum inzwischen verstaatlichten Energiekonzern Uniper gehören, sollen ab 2030 nach und nach wieder in bayerische Hand kommen - mit Hilfe eines rechtlichen Kniffs: Der Freistaat werde sogenannte Heimfallrechte in alten Verträgen ziehen, kündigte Söder an. Der Windkraftausbau soll, trotz weiter geltender 10H-Regelung, beschleunigt werden. Ein Punkt: Für die Genehmigung von Windparks sollen künftig zentral die Bezirksregierungen zuständig sein. Windkraftbetreiber sollen sich mit den Kommunen über eine Beteiligung einigen, entweder mittels vergünstigter lokaler Stromtarife oder über eine Beteiligung der Bürger. „Windräder sollen die Windräder der Bürger und der Gemeinden werden“, sagte Söder. Um den raschen Anschluss Bayerns an Wasserstoffnetze aus Nord und Süd sicherzustellen, will sich der Freistaat an der Ferngas GmbH beteiligen.

Stromtrassen:

Beim Bau neuer großer Stromtrassen leitet Söder einen Kurswechsel ein: Neue Höchstspannungstrassen, die bereits so geplant sind, sollen zwar weiter unter der Erde verlegt werden. Neue große Gleichstromleitungen sollen aber möglichst überirdisch gebaut werden. Es gelte der Grundsatz: „Überirdisch wo möglich, unterirdisch wo nötig“, sagte er. Das soll den Bau schneller und billiger machen. Damit rückt Söder von einem zentralen Punkt der Politik seines Vorgängers Horst Seehofer ab. Dieser hatte teils massiven Widerstand vor Ort gegen neue Stromtrassen einst mit einer Forcierung von Erdverkabelung gebrochen.

Fachkräfte:

Um die Zuwanderung von Fachkräften zu beschleunigen, soll es eine zentrale „Fast Lane“ bei der Regierung von Mittelfranken geben. Diese soll der zentrale Ansprechpartner für ausländische Fachkräfte und die Wirtschaft gleichermaßen sein, dort sollen die Zuwanderungsverfahren für Fachkräfte gebündelt werden. Zudem soll es für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse nur noch je eine zentrale Stelle pro Beruf geben.

Finanzierung und Förderung:

Söder will die Mittelstandsfinanzierung reformieren. Die Förderbank LfA soll ausgebaut, mögliche Fördersummen sollen verdoppelt werden. Für Start-ups soll ein neuer Super-Risikokapitalfonds geschaffen werden. Und um die Abwanderung von Firmen ins Ausland zu bremsen, soll es einen neuen sogenannten Transformationsfonds geben, unter Einbindung einer bestehenden Forschungsstiftung. Ziel: mit Forschungsförderung und Ähnlichem Unternehmen zum Bleiben bewegen und bei Transformationsprozessen unterstützen.

Opposition reagiert unterschiedlich

Die Grünen kritisierten, dass viele Vorschläge viel zu spät kämen, insbesondere in der Energiepolitik. „Warum erst jetzt?“, sagte Fraktionsvize Johannes Becher. Es fehle an Windkraft, Netzen, billiger Energie. Dabei kritisierte er, dass die CSU viele Dinge verzögert habe, etwa durch den Zwang zur Erdverkabelung großer Stromtrassen, und davon erst jetzt abrücke. „Man kann wirklich nur hoffen, dass Sie jetzt aus den Fehlern gelernt haben.“

Ohnehin habe Söder nun viele gute Vorsätze, etwa bei der geplanten Entbürokratisierung. „Wer will das denn nicht?“ Becher warnte aber: „In der Ankündigung scheint der Geist willig, doch in der Umsetzung ist das Fleisch schwach.“ Zudem sei Söder ja bisher eher als Experte für Großbuchstaben und Ausrufezeichen bekannt. Die Grünen wollten sich beim Thema Entbürokratisierung aber konstruktiv beteiligen - und damit anders agieren, als die Union dies in Berlin mache. Dabei gehe es auch darum, Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen. Becher warnte aber vor einer Beschneidung von Bürgerentscheiden: „Wir sind beim Bürokratieabbau dabei - beim Demokratieabbau sind wir nicht dabei.“

Ingo Hahn (AfD) sagte, man müsse erst einmal abwarten, ob Söders Rede ein Strohfeuer bleibe oder nicht. Ansonsten warnte der AfD-Politiker aufs Neue vor einer wie auch immer gearteten Zuwanderung von „kulturfremden Migranten“ und forderte mehr Abschiebungen. Gleichzeitig machte Hahn erneut deutlich, dass die AfD weitergehende Maßnahmen zur Energiewende ablehnt. Konkret forderte er die Staatsregierung auf, auf den geplanten „Wassercent“ zu verzichten und die Menschen nicht noch weiter „abzukassieren“.

SPD-Fraktionschef Florian von Brunn mahnte, es müsse nun tatsächlich vieles angepackt werden. „Wir wollen, dass jetzt gemacht wird statt immer nur geredet.“ Er sprach sich, wie zuvor auch Becher, für eine Beschleunigung auch anderswo aus: beim Hochwasserschutz. Zudem warf er der Staatsregierung eine „Verhinderungsbürokratie“ bei der Windkraft vor.

© dpa-infocom, dpa:240612-99-372542/7


Von dpa
north