Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die AfD nach mehrjähriger Prüfung als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Der Inlandsgeheimdienst teilte mit, der Verdacht, dass die Partei Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolge, habe sich bestätigt und in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet.
Mehrere Politikerinnen und Politiker nahmen das zum Anlass für Forderungen nach einem Verbot der Partei. Der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte aber vor einem „Schnellschuss“.
Die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, der Inlandsnachrichtendienst habe die Entscheidung zur neuen Einstufung der AfD eigenständig getroffen. „Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben“, versicherte Faeser.
Die beiden AfD-Vorsitzenden, Tino Chrupalla und Alice Weidel, schrieben in einer Mitteilung, die AfD als Oppositionspartei werde nun „kurz vor dem Regierungswechsel öffentlich diskreditiert und kriminalisiert“. Das sei erkennbar politisch motiviert. Die Partei werde sich weiter juristisch wehren. Zuständig ist dann in erster Instanz das Verwaltungsgericht in Köln, wo das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat.
Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Heidi Reichinnek, sagte: „Das Verbotsverfahren gegen die AfD muss endlich auf den Weg gebracht werden.“ Man dürfe nicht akzeptieren, dass eine rechtsextremistische Partei die Demokratie „von innen bekämpft und zerstört“.
Etwas vorsichtiger formulierten Konstantin von Notz und Irene Mihalic von den Grünen. Sie erklärten, die Neubewertung sei „ein wichtiger Baustein mit Blick auf die Frage, wie es um die Erfolgsaussichten eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens bestellt ist“. Ein Verbot dürfen Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat beantragen. Entschieden wird über den Antrag vom Bundesverfassungsgericht.
Der Verfassungsschutz teilte zur Begründung seiner Neubewertung mit: „Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar.“ Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen. „Konkret betrachtet die AfD zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern als nicht gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes“, heißt es in der Mitteilung des Inlandsgeheimdienstes.
Äußerungen und Positionen der Partei und führender AfD-Vertreter verstießen gegen das Prinzip der Menschenwürde, erklärten die Vizepräsidenten der Behörde, Sinan Selen und Silke Willems. Dies sei maßgeblich für die nun getroffene Einschätzung. Faeser sagte, die vorherige Bewertung der Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall sei von Gerichten bestätigt worden. Auch die neue Bewertung werde sicher von unabhängigen Gerichten überprüft werden.
Als Vertreter einer vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Partei sollten AfD-Abgeordnete aus Sicht von Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz (CSU) keine repräsentativen Funktionen im Parlament bekleiden. „Als gesichert rechtsextremistische Gruppierung ist die AfD keine Partei wie jede andere“, sagte Lindholz der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb solle sie auch nicht so behandelt werden - vor allem nicht im Parlament.
„Eine Wahl von AfD-Vertretern in repräsentative Funktionen wie das Bundestagspräsidium oder Ausschussvorsitze halte ich nun für kaum mehr denkbar“, fügte sie hinzu. „Jeder AfD-Abgeordnete muss sich vielmehr nun entscheiden, ob er zu unserer Grundordnung steht und aus der Partei austritt oder ob er prominenter Teil einer extremistischen Bestrebung sein will.“
Der designierte Unionsfraktionsvorsitzende, Jens Spahn (CDU), hatte sich dafür ausgesprochen, mit der AfD im Parlamentsbetrieb so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien auch. Dies löste eine Kontroverse aus. Die AfD stellt im neuen Bundestag nach der CDU/CSU die zweitstärkste Fraktion.
Der designierte neue Bundesinnenminister, Alexander Dobrindt (CSU), sagte, Faeser habe ihn informiert. Er gehe davon aus, dass es zu einer gerichtlichen Überprüfung der Einstufung komme. „Unabhängig davon führt das Gutachten zwingend dazu, dass eine weitere Beobachtung der AfD stattfinden wird.“
Auf die Frage der Deutschen Presse-Agentur nach einem möglichen Verbotsverfahren gegen die AfD antwortete Faeser in Wiesbaden, diese „sollten wir immer von der notwendigen politischen Auseinandersetzung trennen“. Aus guten Gründen gebe es sehr hohe verfassungsrechtliche Hürden. Ein Verbotsverfahren „sollte man nicht ausschließen, aber weiterhin sehr vorsichtig damit umgehen“, sagte sie. „Es gibt jedenfalls keinerlei Automatismus.“
Auf die Frage, ob das Erstarken der AfD ein Schatten auf seiner Kanzlerschaft sei, sagte Scholz beim Kirchentag in Hannover: „Das bedrückt mich als Bürger, als Kanzler, als Abgeordneter im Deutschen Bundestag.“
Die Landesämter für Verfassungsschutz in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatten die jeweiligen AfD-Landesverbände bereits zuvor als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.
Nachdem Medien im Februar 2021 über eine mutmaßliche Einstufung der Gesamtpartei als sogenannter Verdachtsfall berichtet hatten, musste der Verfassungsschutz auf Geheiß des Kölner Verwaltungsgerichts noch rund ein Jahr warten, bis er diese Einschätzung publik machen und die Partei entsprechend beobachten konnte. Im Mai 2024 entschied das Oberverwaltungsgericht Münster dann, dass der Verfassungsschutz die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat. Der Rechtsstreit geht noch weiter.
Schon bei einer Beobachtung als Verdachtsfall ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erlaubt: etwa der Einsatz sogenannter V-Leute – also Menschen mit Zugang zu internen Informationen -, auch Observationen oder Bild- und Tonaufnahmen. Bei Auswahl und Einsatz der Mittel muss allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.
Bei einem als gesichert extremistisch eingestuften Beobachtungsobjekt sinkt die Schwelle für den Einsatz solcher Mittel. Mit einem Parteiverbot hat die Beobachtung durch das BfV zwar vordergründig nichts zu tun. Denn dieses kann nur von Bundestag, Bundesrat oder der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Eines der drei Verfassungsorgane könnte sich aber durch die neue Einschätzung des Inlandsnachrichtendienstes ermutigt fühlen, einen solchen Antrag zu stellen.
Grundlage der nun getroffenen Entscheidung ist ein umfangreiches Gutachten des BfV, das nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt ist. Eine Veröffentlichung ist nicht vorgesehen. Eingeflossen sind auch Erkenntnisse aus dem zurückliegenden Bundestagswahlkampf.
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