Was ziehe ich zur Arbeit an? In vielen Jobs bestimmt der Arbeitgeber mit – und manchmal auch bei anderen Fragen des äußeren Erscheinungsbilds. Doch was darf er eigentlich vorschreiben? Zwei Arbeitsrechtsexperten geben Antworten.
Grundsätzlich ja – aber nicht unbegrenzt. Arbeitgeber haben ein Direktionsrecht. Sie dürfen bestimmen, was gearbeitet wird, wo gearbeitet wird, womit gearbeitet wird, wie gearbeitet wird. Aber auch Arbeitnehmer haben Rechte, das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit beispielsweise.
„Es geht immer um eine Abwägung im Einzelfall“, sagt Till Bender, Jurist beim Rechtsschutz des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Ziel ist, die Interessen beider Seiten so in Einklang zu bringen, dass niemand unverhältnismäßig eingeschränkt wird.
Bei der Kleidung etwa sind Vorgaben aus Hygiene- und Sicherheitsgründen zulässig, von der OP-Kleidung im Krankenhaus bis zum Schutzhelm auf der Baustelle. „Hier gibt es wenig Interpretationsspielraum“, sagt Bender. „Der Arbeitgeber darf solche Maßnahmen anordnen und muss die Kleidung zur Verfügung stellen und bezahlen.“
Auch im Supermarkt oder in der Gastronomie sind Vorschriften für eine einheitliche Dienstkleidung erlaubt, etwa um Mitarbeitende für Kunden erkennbar zu machen. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Az.: 3 SLa 224/24) bewertete die Kündigung gegen einen Monteur im Streit um eine rote Arbeitshose als rechtmäßig: Er erschien statt in Rot in Schwarz, wurde deshalb mehrmals abgemahnt und verlor schließlich seinen Job. Die Kleidervorschrift sei, so das Gericht gerechtfertigt, zum einen diene sie der Sicherheit in der Produktionshalle, zum anderen „der Wahrung der Corporate Identity“.
Berücksichtigt werden muss bei Kleidungsvorgaben, so Bender, das Prinzip der Gleichbehandlung: Es kann Frauen nicht vorgeschrieben werden, ausschließlich Röcke zu tragen. Genauso wenig dürfe männlichen Angestellten der Rock untersagt werden, wenn dieser generell zur Dienstkleidung gehört.
Bei der Einführung von Dienstkleidung muss übrigens der Betriebs- oder Personalrat einbezogen werden: „Vorgaben zur Arbeitskleidung sind mitbestimmungspflichtig“, sagt Bender. Meist wird dann eine Betriebsvereinbarung geschlossen.
Gibt es im Betrieb keine einheitliche Dienstkleidung, kommt es besonders auf den Einzelfall an – und vor allem darauf, ob die Tätigkeit Kundenkontakt beinhaltet. „Man muss immer schauen, welches konkrete Interesse der Arbeitgeber verfolgt – und ob dieses schwerer wiegt als das Recht der Beschäftigten auf Selbstbestimmung“, sagt Volker Görzel, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Köln und Mitglied im Verband deutscher Arbeitsrechtsanwälte (VDAA). Das Weisungsrecht dürfe also nicht pauschal ausgeübt werden, sondern müsse immer begründet sein.
Wer Kontakt zu Kunden hat, muss mit strikteren Vorgaben rechnen. Jeans mit Löchern, auffällige Piercings oder bunte Haare können hier im Einzelfall untersagt werden, sofern dies begründet wird. „Wenn eine gewisse Außenwirkung erwünscht ist, kann der Arbeitgeber darauf bestehen, dass die Kleidung seriös und der Tätigkeit angemessen ist“, sagt Görzel.
Anders sieht es bei Tätigkeiten ohne Kundenkontakt aus. Dort sei der rechtliche Spielraum für Kleiderregeln erheblich eingeschränkter, so Görzel: „Einem Sachbearbeiter im Großraumbüro wird man die kurze Hose im Sommer kaum verbieten können.“ Hier dürfe der Arbeitgeber keine pauschalen Regeln durchsetzen, sondern müsse begründen, warum bestimmte Kleidungsstücke nicht erwünscht sind.
Tätowierungen, Piercings und Frisuren fallen ebenfalls unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Eine Einschränkung ist nur erlaubt, wenn das Erscheinungsbild etwa dem Ansehen des Unternehmens schadet – was stark vom Kontext abhängt. „Bei Tattoos muss man schauen: Wo befinden sie sich, wie ist das Umfeld im Job?“, sagt Görzel.
In manchen Berufen, etwa im Bankwesen, in der Hotellerie oder bei der Polizei, können sichtbare Tätowierungen problematisch sein – vor allem, wenn sie großflächig, provokant oder thematisch heikel sind. Wenn es um Sicherheitsfragen geht, zum Beispiel bei langen Haaren, lasse sich, so Görzel, meist ein Kompromiss finden.
Ja, wenn Beschäftigte gegen konkrete Vorgaben oder Sicherheits- und Hygieneregeln verstoßen, wenn beispielsweise OP-Personal mit langen, lackierten Fingernägeln arbeiten möchte oder Küchenkräfte ohne Haarnetz. „Dann ist eine Abmahnung zulässig“, sagt Volker Görzel. Weigert sich ein Arbeitnehmer weiterhin, sich an die Kleiderordnung zu halten, kann eine Kündigung ausgesprochen werden.
Sowohl Bender als auch Görzel empfehlen, das Gespräch zu suchen, möglichst früh und möglichst offen. Und mit einer gewissen Bereitschaft, sich sachlich mit den Argumenten der Führungskräfte auseinanderzusetzen – etwa, wenn es um Hygiene, Sicherheit oder Kundenwahrnehmung geht, sagt Till Bender.
Wer sich ungerecht behandelt fühlt, sollte nicht zögern, rechtliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen – etwa durch den Betriebsrat. Auch eine Vertrauensperson im Team kann helfen, die Situation zu deeskalieren. Schwierig allerdings wird es, sagt Volker Görzel, wenn das Thema Kleidung nur der Auslöser ist, der Konflikt hingegen ganz andere Ursachen hat.
Ja – sie ist liberaler geworden. Tätowierungen, ungewöhnliche Frisuren oder modische Eigenheiten werden heute deutlich toleranter bewertet als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Auch der gesellschaftliche Wandel und der Fachkräftemangel spielen eine Rolle.
„Viele Unternehmen zeigen sich offener, wenn das äußere Erscheinungsbild zwar unkonventionell, aber im Arbeitsalltag unproblematisch ist“, sagt Görzel. Trotzdem gilt: Das Persönlichkeitsrecht endet dort, wo berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Beschäftigter verletzt werden. Was erlaubt ist – und was nicht –, bleibt also in vielen Fällen eine Frage des Einzelfalls.
© dpa-infocom, dpa:250818-930-928036/1