Erst war er Supersportwagen, dann Society-Roadster und zuletzt ein luxuriöser Gleiter, der sich nicht zwischen Boulevard und Überholspur entscheiden konnte - in rund 70 Jahren hat der Mercedes SL so seinen Kurs und seine Identität verloren.
Doch jetzt bringt Brabus ihn zurück auf Linie und macht ihn als Rocket GTS buchstäblich zum Überflieger. Denn für Preise ab rund 940.000 Euro wird aus dem schon ab Werk rasenden Roadster der 735 kW/1000 PS starke Rocket GTS, der so kraftstrotzend gezeichnet wurde, dass er jedem ordentlich Petrolhead den Kopf verdreht. Und wer sich am vielfachen Preis des Sonderlings stört, den tröstet Brabus mit spürbarem Mehrwert.
Schließlich hat der Bodybuilder aus Bottrop den Zweitürer zum kombiähnlichen Shooting Brake aufgerüstet und bietet deshalb zum ersten Mal seit dem seligen R 129 aus den 1990er-Jahren wieder einen Kofferraum, der seinen Namen verdient.
Vom Original bleibt bei dem Umbau kaum ein sichtbares Teil erhalten. Sondern wie jeder Brabus probt auch der Rocket GTS den ganz großen Auftritt, hat ein weit aufgerissenes Kühlermaul, der Spoiler schleift messerscharf über den Boden, wie die Klinge eines Rasenmähers und die Kotflügel biegen sich förmlich unter der Kraft, die da unter der Haube steckt.
Wo sich beim Roadster ein Stoffverdeck über die vier Sitze spannt, hat Brabus eine Karosse aus Carbon gebacken, die ein vergleichsweise langes Dach hat, hinten mächtig die Backen aufbläst und dann steil in einer großen Klappe abfällt. Darunter sitzt ein Diffusor groß wie das Schild einer Schneefräse, aus dem vier rot beleuchtete Endrohre flammen. Sie wirken wie die Antriebsdüsen einer Rakete, die dem Rocket GTS den Namen gab.
Auch innen bleibt bei Brabus kein Teil auf dem anderen. In wochenlanger Handarbeit werden zahlreiche Bauteile in Bottrop mit Leder oder Alcantara überzogen. Viele Teile bestehen aus Carbon. Und selbst wenn die Beinfreiheit im Fond bescheiden bleibt, kann man auf den Notsitzen jetzt tatsächlich sitzen, weil der Kopf nicht mehr quer unter der Stoffmütze hängt. Den größten Unterschied freilich macht das Heck:
Wo man bislang allenfalls zwei Turnbeutel durch die schmale Luke unter den Deckel quetschen kann, schwingt jetzt eine große Klappe auf, hinter der vier maßgeschneiderte XXL-Taschen verschwinden. So wird aus dem Roadster ein Reiseauto und der Urlaub darf auch mal länger dauern.
Damit selbst große Distanzen wie im Flug vergehen, hat Brabus auch unter der Haube Tabula rasa gemacht. Zwar lassen sie in Bottrop brav die Finger vom Plug-in-Modul des SL 63 E-Performance, der ihnen als Basis dient. Das kommt deshalb unverändert auf 150 kW/204 PS und ermöglicht bei 6,1 kWh-Akkukapazität zwölf elektrische Kilometer.
Aber dafür haben sie den Affalterbacher Achtzylinder von 4,0 auf 4,5 Liter aufgebohrt und die Leistung von 450 kW/612 PS auf 585 kW/ 796 PS gesteigert. Das Ergebnis ist eine vereinte Kraft von 735 kW/1,000 PS und ein Fahrerlebnis wie von einem anderen Stern.
Denn wie Major Tom fühlt man sich völlig losgelöst, wenn 1.620 Nm Drehmoment beim Kick-down mit der Haftkraft breiter Gummiwalzen den Asphalt in dicken Stücken aus der Straße zu reißen drohen. In etwas mehr als zweieinhalb Sekunden beschleunigt die Rakete aus dem Stand auf Tempo 100.
Und selbst wenn drinnen alles nobel und sich kuschelig weich anfühlt, wird der SL zur Folterkammer, wenn der Fuß auf dem Gas bleibt. Zu rabiat sind die Fliehkräfte und zu schnell die Lastwechsel, als dass die Sinne da noch mitkommen könnten. Und ein stabiler Magen kann auch nicht schaden - vor allem mit Rücksicht auf all das schmucke Leder hier drinnen.
Erst recht, wenn der digitale Tacho nach 9,5 Sekunden über die 200er-Marke springt, nach 23,6 Sekunden 300 km/h erreicht wird und die rasenden Zahlen auf dem Display erst bei 317 so langsam zur Ruhe kommen. Wer jetzt aber vor Schreck in die Eisen steigt, tut sich auch keinen Gefallen. Denn die Carbonbremsen groß wie Pizzateller packen so fest zu, dass es sich anfühlt, als würde das Spaceshuttle in die Erdatmosphäre eintauchen. Genau so abrupt fällt man dann in die Gurte.
Und keine Sorge, so wie man die Raketen von Cape Canaveral noch meilenweit beim Start sehen und hören kann, macht auch der Brabus Rocket GTS genug Spektakel. Auf dem Boulevard ist ihm alle Aufmerksamkeit sicher. Man braucht deshalb neben einem gut gefüllten Konto schon ein gesundes Selbstbewusstsein, wenn man seinen Flugschein für diese Rakete buchen will. Und Geduld braucht man obendrein, denn der Bau dauert mehrere Monate und viel mehr als eine Handvoll Autos pro Jahr sind nicht geplant.
Natürlich braucht ein Auto wie den Brabus Rocket GTS kein Mensch. Und ob der SL jetzt einen großen Kofferraum hat oder ein Fenster zum Himmel, spielt bei dieser Überlegung nun wirklich keine Rolle. Doch es ist faszinierend, wie sie in Bottrop aus einem erschreckend belanglosen Enkel einer Legende wieder ein ganz besonders Auto gemacht haben. Denn nach dem Umbau zum Brabus Rocket ist der SL wieder genauso einzigartig und abgehoben, wie er es vor rund 70 Jahren als Flügeltürer schon einmal war. Datenblatt: Brabus Rocket GTS
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