An diese Frisur lassen viele kein gutes Haar. Kaum ein Look polarisiert so sehr wie der Vokuhila (Kurzform von „vorne kurz, hinten lang“), den in den 80ern und frühen 90ern Sportler wie Rudi Völler und Andre Agassi trugen (als er noch Haare hatte), aber auch Popstars wie Prince, Bands wie Modern Talking, Duran Duran und A-ha.
Derzeit feiert der Vokuhila eine Art Comeback, etwa bei Rapper Ski Aggu (26), Comedian Fred Costea (30), Hertha-Stürmer Fabian Reese (26) und Hollywood-Star Kristen Stewart (34). Meist bekommt er jetzt mit „Mullet“ sowohl bei Frauen als auch Männern einen englischen Namen verpasst.
Phänomene mit schlechtem Ruf müssen manchmal wohl anders genannt werden, um wieder akzeptierter zu werden. Sieht man auch am Spaziergang im Grünen (Waldbaden), beim Vorkochen (Meal Prep) oder beim Herrenfriseur-Salon (Barber Shop).
Das neumodische „Mullet“ ist eigentlich kein nettes Wort, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) einst sinnierte: „Während der deutsche Begriff Vokuhila noch relativ neutral, eben abgekürzt, den Look beschreibt, sieht das im Englischen beim Begriff „Mullet“ schon anders aus: Der kommt vom Wort „Mullethead“, der im 19. Jahrhundert verwendet wurde, um „dämliche“ oder „dumme“ Menschen zu beschreiben.“
Die legendäre Hardcore-Punk- und Hip-Hop-Band Beastie Boys prägte den Begriff, brachte vor 30 Jahren ein Lied mit dem Titel „Mullet Head“ heraus - Kostprobe des Refrains: „Cut the Sides, Don't Touch The Back“ (Schneid die Seiten, lass die Rückseite unberührt).
Bis in die 90er war die Vokuhila-Pudelmähne in Deutschland recht häufig auf den Straßen zu sehen. Von oben herab wurde sie - erst recht, wenn sie mit einem Schnäuzer kombiniert war - als Haarschnitt von Manta-Fahrern und Prolls klassistisch eingeordnet. Dänen nennen den Schnitt bis heute Bundesligahår, weil er als charakteristisch für Bundesliga-Fußballer gilt.
Auch in der queeren Szene fand der Vokuhila Verbreitung, galt als Erkennungszeichen für Lesben, die sich als „Butch“ identifizierten, sich also einen Look aneigneten, der angeblich Männern vorbehalten war.
Doch auch vor den 80er-Jahren war die Frisur schon Kult: David Bowie trug einen Vokuhila Anfang der 70er für sein außerirdisches Alter Ego Ziggy Stardust.
Die „New York Times“ erklärte, dass der helmartige Vokuhila bereits im alten Assyrien, Ägypten und Griechenland gängig gewesen sei: „Griechische Texte deuten darauf hin, dass dieser Stil besonders bei Kriegern beliebt war. Zweifellos hielten die längeren Nackenhaare ihren Hals warm, während der Pony dafür sorgte, dass sie klar sehen konnten.“
Als englischen Ausdruck gibt es für den Vokuhila die Beschreibung „Business in the front, party in the back“ - frei übersetzt also: vorne seriös, hinten Halligalli. Es könne aber auch gesagt werden „Man in the front, woman in the back“, meinte die „NZZ“. „Das Spiel mit den Geschlechterrollen ist vielleicht das Spannendste und auch Zeitgeistigste am Vokuhila. Und das war es sicher auch, was David Bowie so an ihm gefallen hat.“
Das Revival in jüngster Zeit war anfangs eher nur ein behaupteter Trend auf Laufstegen von Marken wie Gucci oder Off-White. Stylist Guido Palau ließ Models schon vor rund zehn Jahren bei Modenschauen von Marc Jacobs mit Vokuhila auftreten. In den letzten Jahren wurde er dann tatsächlich zum Hipster-Phänomen und einer häufigeren Erscheinung. Als jetzt 2024 bei Heidi Klums „Germany's Next Topmodel“ auf ProSieben erstmals Männer mitmachen durften, trugen mit Maximilian und Yanik gleich zwei der Anwärter einen Mullet.
„Wir haben Vokuhila-Varianten jetzt schon ein paarmal bei unseren Trendlooks-Kollektionen dabei gehabt - bei Damen wie bei Herren“, sagt Antonio Weinitschke, Art Director beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks. „Doch bevor sich eine Mode so richtig durchsetzt, braucht es immer seine Zeit, das dauert ein paar Jahre.“ Wenn er ästhetisch gemacht sei, sei gegen einen Mullet überhaupt nichts einzuwenden, findet der Experte.
Weinitschke betont, dass der heutige Mullet nicht so aussehe wie der Vokuhila der 80er. Bei den Herren seien die Schnitte in ihren Verbindungen wesentlich weicher, hätten hinten keine extreme Überlänge, die Seiten seien aber kurz, nahezu rasiert. „Damals war das ja meistens oben so ein Stehhaarschnitt, der Rest war dann lang runter im Nacken“, sagt der Friseurmeister aus Aachen. „Heute werden die Haare eher gleichmäßiger gestuft und das Ganze wird flacher und breitflächiger getragen, also nicht mit so einem Stehkopf.“
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