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Veröffentlicht am 15.04.2025 14:09

Worum es beim Streit um den Mindestlohn geht

Der Deutsche Gewerkschaftsbund geht von insgesamt sechs Millionen Menschen mit Mindestlohn in Deutschland aus. (Archivbild) (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)
Der Deutsche Gewerkschaftsbund geht von insgesamt sechs Millionen Menschen mit Mindestlohn in Deutschland aus. (Archivbild) (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)
Der Deutsche Gewerkschaftsbund geht von insgesamt sechs Millionen Menschen mit Mindestlohn in Deutschland aus. (Archivbild) (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Die neue Koalition ist noch nicht einmal gestartet - und schon debattieren Union und SPD über das Einkommen von Millionen Beschäftigten. Hintergrund ist der gesetzliche Mindestlohn und eine deutliche Erhöhung auf 15 Euro. Darum geht es: 

Was ist der Mindestlohn?

Der gesetzliche Mindestlohn wurde im Jahr 2015 eingeführt. Es war ein zentrales Projekt der SPD in der damaligen großen Koalition im Kampf gegen Dumpinglöhne. Zum Start 2015 betrug der Mindestlohn 8,50 Euro. Laut Gesetz hat eine unabhängige Kommission alle zwei Jahre über Anpassungen der Höhe zu beschließen. Dies geschah letztmals im Juni 2023. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) setze einen entsprechenden Vorschlag der Kommission um. Demnach stieg der Mindestlohn zum 1. Januar 2024 von 12,00 auf 12,41 Euro und zum 1. Januar 2025 auf 12,82 Euro. Der Deutsche Gewerkschaftsbund geht von insgesamt sechs Millionen Menschen mit Mindestlohn in Deutschland aus.

Den nächsten Beschluss zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns will die Mindestlohnkommission bis Ende Juni 2025 fassen. Damit soll die Höhe des Mindestlohns für die Jahre 2026 und 2027 festgelegt werden.

Was genau steht im Koalitionsvertrag?

Eines der zentralen Versprechen der SPD im Wahlkampf war es, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen. Die Union dagegen betonte die Rolle der unabhängigen Kommission. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es, die Entwicklung des Mindestlohns müsse einen Beitrag zu stärkerer Kaufkraft und einer stabilen Binnennachfrage in Deutschland leisten. „An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest.“ 

Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns werde sich die Kommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“

Worum geht es in der aktuellen Debatte?

In erster Linie geht es darum, wie die Sätze aus dem Koalitionsvertrag interpretiert werden und wann genau der Mindestlohn auf 15 Euro steigt. Der wohl neue Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz sagte der „Bild am Sonntag“, möglicherweise komme man auch erst 2027 auf den Betrag von 15 Euro. In einem Papier der SPD zum Koalitionsvertrag heißt es: „Der Mindestlohn wird bis 2026 auf 15 Euro steigen.“

DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte der Deutschen Presse-Agentur, nach einer Gesamtabwägung der Mindestlohnkommission gehe der DGB davon aus, dass rechnerisch die Voraussetzungen für einen Mindestlohn von rund 15 Euro im kommenden Jahr gegeben seien.

Was ist die Mindestlohnkommission?

Körzell ist Mitglied der Kommission. Diese besteht aus einer Vorsitzenden, sechs stimmberechtigten ständigen Mitgliedern aus dem Kreis der Sozialpartner und zwei beratenden Mitgliedern aus der Wissenschaft ohne Stimmrecht. 2023 gab es großen Ärger, denn die Empfehlung in der Kommission wurde erstmals nicht im Einvernehmen getroffen. Die Arbeitnehmervertreter hielten die Anhebung für zu niedrig, wurden aber überstimmt und erhoben schwere Vorwürfe gegen die Arbeitgeberseite. In der Geschäftsordnung der Kommission heißt es nun, sie solle „im Regelfall“ einen einstimmigen Beschluss herbeiführen.

Warum ist der Union die Unabhängigkeit der Kommission wichtig?

Im Einklang mit den Arbeitgebern sagen CDU und CSU: Es ist besser, sich an der tatsächlichen konjunkturellen Lage zu orientieren - statt Einkommen politisch vorzugeben. Großen Streit gab es 2022. Denn die damalige Ampel aus SPD, Grünen und FDP erhöhte den Mindestlohn außerplanmäßig zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro. Die Arbeitgeber kritisierten dies damals als „staatliches Lohndiktat“.

Was sind die Kriterien der Kommission?

Die Vorsitzende Christiane Schönefeld betont mit Blick auf die Kommission: „Ihre Mitglieder unterliegen bei der Wahrnehmung ihrer Tätigkeit keinen Weisungen.“ Das Gremium wende für seine Beschlussfassung über die Anpassung des Lohns die gesetzlichen Kriterien an, die sie auch in ihrer Geschäftsordnung verankert habe. „Im Rahmen einer Gesamtabwägung orientiert sie sich unter anderem nachlaufend an der Tarifentwicklung sowie am Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten.“ Genau so ist es im Koalitionsvertrag formuliert. 

Welche Rolle spielt die EU-Mindestlohnrichtlinie?

Die Richtlinie sieht vor, dass der Mindestlohn nicht weniger als 60 Prozent des sogenannten Medianlohns eines Landes beträgt - das ist eine statistische Rechengröße, auch „mittlerer“ Lohn genannt. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat vorgerechnet, dass sich auf Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes ein Mindestlohn von 14,88 bis 15,02 Euro im Jahr 2026 und von 15,31 bis 15,48 Euro im Jahr 2027 ergibt. 

Verwende man Berechnungen der OECD, wäre schon für das laufende Jahr ein Mindestlohnniveau von 15,12 Euro erforderlich, um das Ziel von 60 Prozent zu erreichen. Körzell sagte, in der Vergangenheit habe Deutschland den Referenzwert von 60 Prozent regelmäßig unterschritten. „Entsprechend groß ist nun der Nachholbedarf.“

Wie sieht die Wirtschaft die Debatte?

Die Mindestlohnkommission kann von ihren Kriterien abweichen - wenn „besondere ökonomische Umstände“ vorliegen. Die deutsche Wirtschaft ist in einer Krise. Nach zwei Rezessionsjahren in Folge wird für das laufende Jahr allenfalls ein Mini-Wachstum erwartet. Die aktuelle Wirtschaftslage gebe eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro nicht her, sagte bereits im Februar der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest. Der Mindestlohn könne nicht deutlich stärker steigen als Tariflöhne.

In einer Erklärung mehrerer Wirtschaftsverbände von Montag heißt es, der Mindestlohn sei seit 2022 um mehr als 30 Prozent gestiegen. „Viele Arbeitgeber, insbesondere im Mittelstand, können das finanziell bereits heute nicht mehr stemmen.“

© dpa-infocom, dpa:250415-930-441552/1


Von dpa
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