Zwischen Trauma und Moderne: Ein Warschau-Trip, der bewegt | FLZ.de | Stage

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Veröffentlicht am 26.05.2025 00:09

Zwischen Trauma und Moderne: Ein Warschau-Trip, der bewegt

Die Altstadt von Warschau mit dem Warschauer Königsschloss (r.) zählt zum Unesco-Weltkulturerbe. (Foto: Jan Woitas/dpa)
Die Altstadt von Warschau mit dem Warschauer Königsschloss (r.) zählt zum Unesco-Weltkulturerbe. (Foto: Jan Woitas/dpa)
Die Altstadt von Warschau mit dem Warschauer Königsschloss (r.) zählt zum Unesco-Weltkulturerbe. (Foto: Jan Woitas/dpa)

„Du kannst die Geschichte ignorieren und Warschau als moderne Stadt sehen, aber wenn du dich dafür interessierst, findest du an jeder Ecke was“, sagt Witold Wrzosiński, Leiter des Jüdischen Friedhofs in Warschau an der Okopowa-Straße. 

Damit liegt der gebürtige Warschauer, der die über 33 Hektar große und 1806 angelegte Ruhestätte leitet, ganz richtig. Wobei aber auch gilt: Wer von der reichen und oft auch tragischen Historie von Polens Hauptstadt während eines Besuchs nichts mitbekommt, muss schon ziemlich blind durch die Straßen laufen. 

Dabei wirkt Warschau auf den ersten Blick wie eine schicke und aufgeräumte Metropole: Die Architektur ist ansprechend, die U-Bahn-Höfe sind durchgestylt und teils so sauber, dass es schon fast steril wirkt. Es gibt viele Parks für den Rückzug vom trubeligen Part des Stadtlebens, darunter der zentral gelegene Łazienki-Park als der größte. An der Weichsel, die Warschaus Altstadt von Stadtteilen wie Praga - heute Zentrum der Kreativszene - teilt, tummeln sich an lauen Abenden Menschen an der Promenade.

Los mit der Geschichte geht es schon am Kulturpalast, dem kaum übersehbaren Monumentalgebäude, das auf Geheiß Stalins in den 1950er-Jahren errichtet wurde. Mit knapp 240 Metern ist es immer noch eines der höchsten Gebäude Polens. Einst als Symbol der Unterdrückung empfunden, haben die Warschauer mit dem „Stalinstachel“, der unter anderem Museen und Kinos beheimatet, heute ihren Frieden gemacht. Tipp: den Aufzug hochfahren und den Blick über Stadt und Fluss schweifen lassen.

Erinnerung an die Aufstände

Am Weichselufer liegt auch das Centrum Nauki Kopernik, das nach Nikolaus Kopernikus benannte Wissenschaftszentrum und -museum. Der in Thorn geborene Astronom gilt als einer der bedeutendsten Wissenschaftler des Landes. In der Nachbarschaft entdeckt man das ehemalige Elektrizitätswerk Powiśle, ein Fabrikbau, in dem heute moderne Restaurants, Cafés und Geschäfte untergebracht sind.

Doch mit dem Elektrownia Powiśle verbindet sich mehr als Industriegeschichte. Das Werk war ein zentraler Ort des Warschauer Aufstands der polnischen Heimatarmee gegen die deutsche Besatzung im Herbsts 1944. Hier versuchten Arbeiter die Stadt trotz der Kämpfe mit Energie zu versorgen. Neben dem Kraftwerk finden sich, von Efeu fast zugewuchert, in Beton eingelassene Schießscharten aus dem Zweiten Weltkrieg.

Den Aufstand nahmen die Nazis zum Vorwand: Auf Befehl Heinrich Himmlers zerbombten sie die gesamte Innenstadt. Fotos aus dieser Zeit finden sich im Museum über den Warschauer Aufstand und im Polin, einem Museum über die 1.000-jährige Geschichte der polnischen Juden, das sich auch dem Holocaust widmet.

Bereits zwischen Mitte April und Mitte Mai 1943 hatte sich die verbliebene jüdische Bevölkerung beim Aufstand im Warschauer Ghetto gegen die Nazis erhoben. Es war die größte jüdische Widerstandsaktion gegen die Schoah, auch sie endete tragisch. Gusseiserne Platten auf dem Boden markieren an 22 Stellen die äußeren Grenzen des einstigen Ghettos.

Rekonstruierte Altstadt

Westlich der Weichsel, wo sich der historische Kern, Königsschloss und Ghetto befanden, stand zum Kriegsende kein Stein mehr auf dem anderen. Jedoch schon 1945 richteten die Warschauer ein Büro für den Wiederaufbau der Hauptstadt ein. Sie wollten möglichst alles originalgetreu wieder aufbauen. Seit 1980 trägt Warschaus Altstadt das Siegel Unesco-Weltkulturerbe. Sie gilt weltweit als das bekannteste Beispiel einer rekonstruierten Stadt. 

Von großem Interesse für geschichtsbewusste Reisende ist auch das Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos am Museum Polin: Es war am 7. Dezember 1970 als hier der damalige Bundeskanzler Willy Brandt spontan niederkniete. Sein Kniefall von Warschau war eine Geste der Bitte um Vergebung.

Zu den wichtigsten Denkmälern zählt auch der von den Nazis so benannte „Umschlagplatz“ auf dem Gebiet des Warschauer Ghettos: Von dort wurden etwa 265.000 Juden in das 100 Kilometer nordöstlich gelegene Vernichtungslager Treblinka deportiert. 

Der Jüdische Friedhof, der einst Teil der Ghettogrenze war, blieb von den Bomben verschont. Und so ist er mit seinen teils monumentalen Grabkunstwerken für Leiter Wrzosiński ein Zeugnis, wie Generationen von Juden in Warschau lebten.

60 Menschen arbeiten auf dem riesigen Areal, darunter 30 Archäologen, die vergrabenen Schmuck, Porzellan, aber auch Gewehre und Patronen aus der Zeit des Widerstands zutage bringen. Wrzosiński: „Wir wissen alle, wie sie starben, aber lasst uns zeigen, wie sie lebten.

Links, Tipps, Praktisches:

Das Reiseziel: Warschau liegt in der Woiwodschaft Masowien und ist mit rund 1,9 Millionen Einwohnern die bevölkerungsreichste Stadt Polens.

Beste Reisezeit: Mai bis September

Anreise: Mit dem Auto etwa ab Berlin sind es knapp 600 Kilometer, ab Dresden gut 600 und ab Hannover über 800 Kilometer. Von Berlin und Frankfurt/Oder gibt es Direktverbindungen mit der Bahn, von den großen deutschen Flughäfen Nonstop-Flüge nach Warschau. 

Nahverkehr: Tickets für Bus, Tram und U-Bahn bekommt man am Automat oder per App. Die einfache Fahrt (75 Minuten) kostet etwa 1 Euro, ein 24-Stunden-Ticket liegt bei knapp 4 Euro.

Unterkünfte: Das „Hotel H15 Boutique“ in der Nähe des Kulturpalastes hat Geschichte: Hier traf sich die polnische Unabhängigkeitsbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, später fungierte das Gebäude als sowjetische Botschaft. Im „Chopin Boutique B&B“ kann man abends Chopin-Konzerte besuchen (Chopin komponierte seine ersten Werke in Warschau). In Altstadtnähe liegt das „Ibis Warszawa Stare Miasto“.

Touren/Aktivitäten: Das Museum über die Geschichte der Juden in Polen Polin kostet umgerechnet knapp 11 Euro Eintritt, das Museum des Warschauer Aufstands regulär gut 8 Euro. Für den Zutritt zum Jüdischen Friedhof zahlen Touristen 4 Euro. Infos zu Restaurants, Bars und Shopping-Möglichkeiten im ehemaligen Elektrizitätswerk unter elektrowniapowisle.com.

Geld: 1 Euro entspricht 4,25 Zloty (Stand: 20.05.2025), Kartenzahlung ist fast überall möglich.

Weiterführende Informationen: go2warsaw.pl und polen.travel.

© dpa-infocom, dpa:250525-930-590844/1


Von dpa
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