Tagtäglicher Verzicht, kein Urlaub, keine Rücklagen, weniger Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: Armut trifft einer Studie zufolge nach wie vor besonders alleinerziehende Familien.
Unter den rund 1,7 Millionen Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern waren 2023 rund 41 Prozent einkommensarm, wie die Bertelsmann Stiftung berichtete. Zum Vergleich: Bei den Paar-Familien galten zwischen 8 Prozent (bei einem Kind) und 30 Prozent (bei drei oder mehr minderjährigen Kindern) als armutsgefährdet. Verbände sprachen von einem „Skandal“, forderten mehr Unterstützung und wiesen vor allem auf die leidtragenden Kinder hin.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur, es sei entscheidend, angegangene Projekte der Ampel-Regierung wie die Kindergrundsicherung voranzubringen. Sie wird derzeit im Bundestag verhandelt. „Das ist ein wichtiger Beitrag, um das Armutsrisiko von Alleinerziehenden, aber auch aller anderen von Armut betroffenen Familien zu senken.“
Die geplante Kindergrundsicherung in ihrem aktuellen Gesetzentwurf sei aber unzureichend, um Armut wirksam entgegenzuwirken, kritisierte die Familienexpertin der Bertelsmann Stiftung, Anette Stein. „Was jetzt auf dem Tisch liegt, kann das Problem nicht lösen.“ Für einige alleinerziehende Familien drohten sogar Verschlechterungen.
Bei den Ein-Eltern-Familien handelt es sich zu gut 82 Prozent um eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Nachwuchs, in knapp 18 Prozent um einen alleinerziehenden Vater. An ihrer seit Jahren bekannten häufig prekären Situation habe sich trotz punktueller Erleichterungen kaum etwas verbessert. Von relativer Einkommensarmut - oder Armutsgefährdung - sind Personen betroffen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte verfügen.
Unter allen 8,5 Millionen Familien deutschlandweit mit Kindern unter 18 Jahren machten alleinerziehende Familien etwa 20 Prozent aus. Der leichte Anstieg seit 2019 auf aktuell rund 1,7 Millionen Ein-Eltern-Familien mit minderjährigem Nachwuchs sei auch auf Geflüchtete aus der Ukraine zurückzuführen. Es gebe regionale Unterschiede bei dem Alleinerziehenden-Anteil.
Fast die Hälfte aller Kinder, die in einer Familie mit Bürgergeldbezug aufwächst, lebt in einem Haushalt mit nur einem Elternteil. Für alleinerziehende Mütter sei das Armutsrisiko höher als bei den Vätern. Der Anteil alleinerziehender Haushalte mit Bürgergeldbezug liegt in Bremen mit 55 Prozent am höchsten, in Thüringen (27 Prozent) am niedrigsten.
Relative Armut bei vielen Alleinerziehenden sei nicht auf mangelnde Erwerbstätigkeit zurückführen, bilanziert die Untersuchung. „71 Prozent der alleinerziehenden Mütter und 87 Prozent der alleinerziehenden Väter gehen einer Arbeit nach.“ Zur finanziell schwierigen Situation tragen demnach oft ausfallende Unterhaltszahlungen bei - nur etwa die Hälfe der Alleinerziehenden erhalte für die Kinder regelmäßigen und vollständigen Unterhalt. Reformen wie beim Unterhaltsvorschuss oder dem Kinderzuschlag hätten die belastende Situation für viele Alleinerziehende noch nicht entscheidend verbessert.
„Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung die Armut von Familien und deren Kindern nicht endlich beendet“, kritisierte die Diakonie. Das Kinderhilfswerk betonte: „Kinderarmut darf keine Frage der Familienform sein.“
Um den Armutskreislauf zu durchbrechen, brauche es neben materieller Absicherung auch eine entsprechende Infrastruktur für Alleinerziehende, „armutsfeste“ Löhne, bezahlbaren Wohnraum und flexible Kinder-Betreuungsmöglichkeiten. Der Sozialverband Deutschland sieht „alarmierende Ergebnisse“ und verlangte unter anderem die „ungerechte Lohnlücke zwischen Männern und Frauen“ zu schließen. Laut DGB steht die Politik in der Verantwortung, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen.
Ministerin Paus zufolge machen die Zahlen „unmissverständlich“ deutlich: „Wir dürfen nicht nachlassen, das Armutsrisiko von Alleinerziehenden weiter zu bekämpfen.“ Mit der Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag oder auch dem Kita-Qualitätsgesetz sei schon viel auf den Weg gebracht. Der Sozialverband VdK forderte eine „gute Kindergrundsicherung in ausreichender Höhe“. Auch der Verband alleinerziehender Mütter und Väter sieht hier „noch viel Luft nach oben.“ Laut Bertelsmann Stiftung ist die Reform „nur“ ein erster Einstieg.
Die Ampel-Koalition ringt seit Langem um die Kindergrundsicherung, mit der bisherige Leistungen für Kinder gebündelt werden sollen: also etwa Kindergeld, Zahlungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder der Kinderzuschlag. Im Herbst 2023 hatte das Bundeskabinett einen Entwurf beschlossen, Paus und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten sich auf zunächst 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten geeinigt. Bei steigender Inanspruchnahme könne der Betrag auf jährlich bis zu 6 Milliarden Euro im Jahr 2028 wachsen.
Ob die Kindergrundsicherung Anfang 2025 kommt, wie Paus anstrebt, ist offen. Der Gesetzentwurf steckt im parlamentarischen Verfahren fest, viele Fragen sind ungeklärt, die Koalitionsfraktionen SPD und FDP äußerten erhebliche Vorbehalte. Grünen-Vizefraktionschef Andreas Audretsch sagte der dpa: „Es ist allerhöchste Zeit, wir werden die Kindergrundsicherung nun zügig auf den Weg bringen.“ Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich äußerte sich in Berlin: „Ich denke schon, dass diese Zahlen uns noch mal dokumentieren, dass wir unbedingt auch den Einstieg in die Kindergrundsicherung noch in dieser Legislaturperiode brauchen.“
Laut Bertelsmann-Studie könnte die Kindergrundsicherung die Lage mancher Alleinerziehenden verbessern. Aber: Die Höhe - also die Existenzsicherung - müsse neu bestimmt werden, was der aktuelle Entwurf nicht einlöse. Die aktuellen Leistungen seien unzureichend. Die Regelbedarfe sollten realistisch neu bestimmt und dabei Kinder und Jugendliche einbezogen werden, mahnte Expertin Stein. Drohende Verschlechterung für einige Alleinerziehende müsse im Gesetzentwurf unter anderem mit Änderungen zu Unterhaltsregelungen verhindert werden. Zudem sei wichtig: Es brauche einheitliche Familienservicestellen als Anlaufstelle mit Beratung aus einer Hand.
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