Vier Monate nach dem historischen Debakel bei der Bundestagswahl hat die SPD ein neues Führungsduo: Neben Vizekanzler Lars Klingbeil steht nun Arbeitsministerin Bärbel Bas an der Parteispitze. Zusammen sollen sie den Sozialdemokraten in einer tiefen Krise neue Orientierung geben. Klingbeil startet jedoch mit einem schweren Dämpfer in diese Aufgabe: Er schrammte knapp am schlechtesten Ergebnis in der Geschichte der SPD-Vorsitzwahlen vorbei. Das macht deutlich: In der SPD rumort es - wegen der zuletzt rigorosen Personalpolitik, aber auch beim Thema Krieg und Frieden.
Während es in der Aussprache auf dem Berliner Parteitag vergleichsweise zurückhaltend blieb, machten die SPD-Delegierten ihrem Unmut bei der Wahl der Parteispitze kräftigt Luft. Klingbeil erhielt nur 64,9 Prozent der Stimmen - das zweitschlechteste Ergebnis eines SPD-Chefs aller Zeiten. Nur Oskar Lafontaine hatte 1995 mit 62,6 Prozent noch weniger Zustimmung bekommen - anders als Klingbeil allerdings mit einem Gegenkandidaten, Rudolf Scharping.
„Das Ergebnis ist für mich ein schweres Ergebnis“, sagte der Vizekanzler. Er hätte sich gewünscht, der ein oder andere hätte diesen Unmut auch in der Debatte geäußert. Zugleich verteidigte er seine Entscheidungen der letzten Monate: „Es war richtig, dass wir uns neu aufgestellt haben, um zu Stärke zurückzukehren.“
Die Parteilinke Bas, die eine mitreißende und launige Bewerbungsrede hielt, bekam dagegen kräftige Rückendeckung von der Partei: Die 57-Jährige erhielt 95 Prozent der Delegiertenstimmen.
Zuvor hatte Klingbeil Fehler im Wahlkampf und in seinem Verhalten nach der Bundestagswahl eingeräumt. Er trage ohne Frage Verantwortung für das historisch schlechte Ergebnis von 16,4 Prozent, sagte der Vizekanzler. Er bat seine Partei fast inständig, dass sie „nach einer Klartext-Aussprache über die letzten Monate“ wieder gemeinsam nach vorne schauen möge.
Das schlechteste Bundestagswahl-Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik - in solchen Situationen sind schon Parteichefs zurückgetreten. Klingbeil aber griff im Februar nach der Macht und machte sich zum Hauptansprechpartner für Wahlsieger Friedrich Merz bei den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen.
Auf dem Parteitag versicherte Klingbeil, er habe „nicht aus Selbstzweck“ gehandelt, „sondern weil ich alles dafür tun will, dass unsere Partei wieder stark wird“. Nach der Wahl habe es für ihn nur zwei Möglichkeiten gegeben: „Entweder ich höre auf oder ich gehe voll in die Verantwortung für die SPD.“ Er habe sich fürs Kämpfen entschieden.
Heute ist der 47-jährige Niedersachse Vizekanzler und führt mit dem Finanzministerium das mächtigste Ressort der Bundesregierung. Auf wichtigen Positionen installierte er Vertraute. Seine bisherige Co-Parteichefin Saskia Esken dagegen sitzt künftig als einfache Abgeordnete im Bundestag.
Klingbeils neue Co-Vorsitzende übte deutliche Kritik am Umgang der Partei mit Esken. Diese habe erleben müssen, „dass Solidarität nicht immer selbstverständlich ist – auch nicht in der Sozialdemokratie“. Doch wenn die SPD für eine solidarische Gesellschaft kämpfen wolle, müsse sie zuallererst eine solidarische Partei sein. „Sonst glaubt uns das keiner!“
Esken selbst hatte der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ vor dem Parteitag gesagt, sie habe sicher auch Fehler gemacht. „Aber die Art, wie Häme über mich ausgekübelt worden ist, war unverhältnismäßig und würdelos.“
Bas steht auch inhaltlich für die angestrebte Neuausrichtung der SPD: Die Sozialdemokraten wollen wieder mehr auf ihre traditionellen Kernthemen setzen und wieder zur Partei der Arbeit werden. Mit dem Parteitag will die SPD den Prozess für ein neues Grundsatzprogramm anstoßen.
Der ehemalige Arbeitsminister Hubertus Heil, der im SPD-Personalkarussell leer ausging, findet seine Partei „zu langweilig“. „Wir müssen wieder interessanter werden.“ Die SPD habe gute Ideen, aber „kein Übermaß an guten Konzepten“. Er gab seiner Partei mit auf den Weg: „Streit in der Sache nicht mit autoaggressiver Selbstzerfleischung der SPD verwechseln, keine Kabale – das hatten wir, das hat uns kaputt gemacht.“
In der Vergangenheit hatte es immer wieder heftige Machtkämpfe und schwere inhaltliche Auseinandersetzung in den führenden oder ehemals führenden SPD-Kreisen gegeben. Nun sagte Heil: „Nicht den einen gegen den anderen ausspielen, keine Intrigen – sondern die SPD modernisieren.“
Eine inhaltlich heftige Auseinandersetzung gab es auf dem Parteitag zum Thema Krieg und Frieden. SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius widersprach Forderungen nach einem Kurswechsel in der Russlandpolitik energisch. Die Realität liege auf dem Tisch, sagte Pistorius, der auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin verwies. „Dieser Imperialist im Kreml will nicht verhandeln, er will keinen Frieden“, sagte er.
Er warnte davor, sich wegzuducken und in Friedenssehnsucht zu flüchten. „Und Putin, so traurig das ist, versteht nur eine Sprache. Und das ist die der Stärke, nicht der Bedrohung, aber der Stärke“, sagte er.
Pistorius antwortete auf den früheren SPD-Vize Ralf Stegner, der zu den Autoren eines Russland-Manifests gehört. Dieser hatte zuvor gefordert, „wir müssen darüber reden, ob diese wahnsinnige Aufrüstung insgesamt der richtige Weg ist. Wir müssen darüber reden, ob die Wehrpflicht die richtige Antwort ist.“ Die Aufregung zeige, dass die Debatte geführt werden müsse. Die Delegierten spendeten ihm auffällig wenig Applaus.
Er und mehrere andere prominente SPD-Politiker hatten in einem „Manifest“ eine Abkehr von der Rüstungspolitik sowie direkte diplomatische Gespräche mit Moskau gefordert. Sie wandten sich zudem gegen eine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland und gegen die Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Papier wurde als Absage an den Kurs von Klingbeil und Pistorius gewertet.
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