Ein fast flächendeckendes Handynetz mit verhältnismäßig guten Download-Raten ist in Deutschland nach den Worten von Telekom-Chef Tim Höttges nicht realistisch. Zu Wochenbeginn hatte die Bundesnetzagentur ihren Vorschlag bekannt gegeben, die Netzbetreiber zu neuen Ausbauvorschriften zu verpflichten.
Eine davon besagt, dass Anfang 2030 99,5 Prozent der Fläche Deutschlands mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde versorgt werden müssen. Heute äußerte Telekom-Chef Höttges seinen Unmut über die Pläne des Regulierers. „Die Flächendeckungsauflagen gehen am Kundennutzen vorbei, sie sind nicht verhältnismäßig und vor allem sind sie auch praktisch kaum umsetzbar.“ Bei Sprachtelefonie sei so ein Ziel machbar, bei solchen Download-Raten aber nicht.
Als Reaktion auf die Höttges-Kritik sagte ein Sprecher der Bundesnetzagentur, dass man die Flächenvorgabe für angemessen halte: „Eine weitere Verbesserung der Versorgung liegt auch im Interesse der Netzbetreiber und ihrer Kundinnen und Kunden.“ Der Bonner Konzern kam Anfang des Jahres auf 91,6 Prozent Flächenabdeckung im 4G-Mobilfunkstandard, Vodafone lag laut Bundesnetzagentur bei 91,3 Prozent und O2 Telefónica bei 86,4 Prozent. Allerdings sind diese Werte nicht eins zu eins mit der 50-Megabit-Vorgabe vergleichbar, da andere Messkriterien gelten.
Erstaunlicherweise kommt die Bundesnetzagentur auf einen relativ hohen Wert, nach ihren Angaben versorgen die drei etablierten Mobilfunk-Netzbetreiber schon jetzt im Schnitt etwas unter 99 Prozent der Fläche Deutschlands mit 50 Megabit pro Sekunde. Hierbei wird aber in der Nähe der Antenne gemessen - es ist also eine eher milde Messmethode, bei der das Nutzererlebnis - wie viel beim Smartphone ankommen - keine Rolle spielt.
Sollten die Netzbetreiber tatsächlich schon bei fast 99 Prozent sein, würde prozentual nur wenig fehlen bis zu dem 99,5-Prozent-Ziel. Dennoch sorgt die Vorgabe für Unruhe. „Der Teufel liegt im Detail“, sagte ein Vertreter der Telekommunikationsbranche, der namentlich nicht genannt werden wollte: „Die Frage wird sein, wie streng die Mess-Parameter sein werden.“
Höttges blieb dabei, dass das Ausbauziel der Netzagentur überzogen sei: „Die völlig realitätsferne Ausbauforderung wird vor allem eins sein: teuer“, sagte er und verwies darauf, dass 30 Prozent der Fläche Deutschlands Wald sei und 6,5 Prozent Naturschutzgebiet. Dort ist sehr schwierig, neue Funkmasten aufzustellen und die dafür nötigen Genehmigungen zu bekommen. Man habe schon heute „enorme Probleme, Standorte zu finden beziehungsweise Baugenehmigungen zu erhalten“, sagte der Vorstandsvorsitzende.
Mit den Auflagen möchte die Bundesnetzagentur sicherstellen, dass die Netzbetreiber beim Ausbau nicht nur dort bauen, wo Menschen wohnen - sondern auch dort, wo Menschen mal vorbeikommen, etwa auf Reisen oder Ausflügen. Bis Ende 2022 galt für die Telekom, Vodafone und O2 Telefónica eine 98-Prozent-Vorgabe, diese 100-Megabit-Vorschrift bezog sich aber auf Haushalte und nicht auf die Fläche. Waren Bauernhöfe oder kleine Dörfer nicht versorgt, fiel das in der Haushalts-Statistik kaum ins Gewicht. Die nun von der Netzagentur angepeilte Umstellung von Haushalt auf Fläche wäre ein Kurswechsel, dann müssten die Netzbetreiber auch entlegene Gebiete in den Blick nehmen.
Bei Höttges löst das Kopfschütteln aus. „In keiner der führenden 5G-Nationen weltweit - Südkorea, Japan, USA - gibt es Flächendeckungsauflagen, sondern stattdessen intelligente Auflagen, die für möglichst viel Bandbreite bei der Bevölkerung sorgen.“ Man werde sich „anstrengen, aber das ist kostenseitig eine enorme Herausforderung“, sagte Höttges.
Im Gegenzug für die Auflagen sollen die etablierten Netzbetreiber bestimmte Frequenznutzungsrechte um fünf Jahre verlängert bekommen und dafür nur relativ niedrige Gebühren zahlen müssen. Diese Verlängerung wurde für sie als Rückenwind interpretiert, Höttges zeigt jetzt aber tiefe Sorgenfalten wegen auflagenbedingter Kosten.
Der Vodafone-Deutschlandchef Marcel de Groot wertete die Auflagen zwar als „gute Nachricht für die Smartphone-Nutzer in Deutschland“, für die Netzbetreiber seien sie aber „extrem ambitioniert und herausfordernd“. „Um dieses Ziel auch wirklich erreichen zu können, müssen wir den Fuß nun von der Ausbaubremse nehmen und Schluss machen mit langen Genehmigungsverfahren.“ Solche Verfahren müssten mit einem neuen Gesetz beschleunigt werden. Ein Telefónica-Sprecher sagte, man prüfe die geplanten Auflagen und werde sich im Rahmen der von der Netzagentur gesetzten Frist dazu äußern.
Die Telekom veröffentlichte heute Geschäftszahlen für das erste Quartal 2024, insgesamt schnitt der Konzern besser ab als erwartet. Der Umsatz legte um 0,4 Prozent auf 27,9 Milliarden Euro zu, das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen inklusive Leasingkosten (Ebitda AL) stieg um 5,1 Prozent.
© dpa-infocom, dpa:240516-99-55750/2