In Ezelheim (Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim) kämpft Stephanie Hassel unermüdlich für die Rettung des zentralen Gebäudes im Ort. Sie fürchtet, dass ohne Gemeinschaftshaus die Traditionen im Dorf zerfallen.
Ludwig Dornberger ist für sie ein ehrenwerter Mann. „An seinem Vermächtnis sieht man, was für ein sympathischer Mensch er war.“ Sein Vermächtnis sollte für immer das soziale Zentrum für Ezelheim sein. Doch das Haus zerfällt. Stephanie Hassel kämpft für seinen Erhalt, um das Miteinander im Dorf zu retten. Dafür wird sie mit dem Ehrenamtspreis der FLZ ausgezeichnet.
Die 35-Jährige kann nicht wegschauen. Das Haus, das sie mit ihrem Mann Udo für die Familie mit zwei Kindern gebaut hat, steht in der Mitte von Ezelheim. Direkt gegenüber vom bekanntesten Gebäude des Dorfs, gestiftet von Ludwig Dornberger, der bis 1882 Bürgermeister war.
Das mächtige Gebäude sieht jeder, der durch den Ortsteil von Sugenheim mit rund 130 Einwohnern fährt. Es ist sein unverwechselbares Wahrzeichen. „Das ist unsere Dorfwelt“, sagt Stephanie Hassel. „Davor treffen sich alle, die runter zum Bus laufen, dort ist der Kindergottesdienst. Die Landjugend war schon immer im Haus, seit vier Generationen. Sie nutzt bis heute einen Raum. Im Garten und innen sind alle Dorffeste.“ Nicht mehr lange, fürchtet die 35-Jährige. „Man kann nicht mehr zuschauen. Das Haus hat nicht mehr viel Zeit. Und dann haben wir gar nichts mehr in Ezelheim.“
Eines Tages stand Stephanie Hassel auf dem Friedhof am Grab von Ludwig Dornberger. Er war ein wohlschaffender Bauer und 30 Jahre Bürgermeister, als Ezelheim noch eine selbstständige Gemeinde war. Zu seinem Tod gab er alles, wie er schreibt, „meinem geliebten Ezelheim“. Seine großen landwirtschaftlichen Flächen durften seine Knechte und Mägde noch zehn Jahre bewirtschaften, um sich ein eigenes Auskommen aufzubauen. Doch sie gehörten fortan wie sein gesamter übriger Besitz der von ihm verfügten Stiftung. Ihr wichtigster Auftrag von dem kinderlos gebliebenen Bürgermeister: ein lebendiges Haus zu betreiben für die Gemeinschaft, vor allem für Kinder und Jugendliche.
„Ich sah am Grabstein, dass er 1882 gestorben ist. Aber gebaut wurde erst ab 1905. Warum?“ Stephanie Hassel machte sich auf die Suche. „Irgendwann wurde es wie im Krimi. Wo sind die Papiere? Was ist da los? Keiner hatte sich diese Fragen gestellt.“
Der Backsteinbau gehört zu ihrem Leben. „Ich bin hier geboren und aufgewachsen, genau in der Straße. Das Haus war für mich schon immer da. Und jeder hat die Geschichte vom Dornberger erzählt. Aber niemand hat es richtig gewusst.“ In einem der oberen Zimmer fand Stephanie Hassel Kisten mit Unterlagen. Die zweifache Mutter, die als Handelsfachwirtin in einem Haustechnik-Betrieb arbeitet, sichtete sie bis spätabends. „Das war eine richtige Detektivarbeit. Sogar das Original des Testaments von 1882 habe ich entdeckt.“
Sie fuhr ins Staatsarchiv und sichtete Verträge und Satzungen, die mehrfach geändert worden waren. Zug um Zug wurde ihr klar, dass die Stiftung damals erst das Geld für den Bau sammeln musste. Und wie kompliziert die Sache heute ist. Denn der Zweck der Stiftung ist das Gemeindeleben von Ezelheim, nicht der Betrieb des Hauses.
Doch die Stiftung ist Eigentümerin des Gebäudes und muss mit den Einnahmen aus den verpachteten Feldern seinen Erhalt finanzieren, zahlt alles vom Strom über die Reparatur der Fenster bis zum Kanalverbesserungsbeitrag. „Bei anderen Dorfhäusern übernimmt das alles die Gemeinde, weil sie die Eigentümerin ist. Bei uns ist es die Stiftung. Von den Pachteinnahmen kann sie das Haus aber nicht unterhalten.“ Das stattliche Barvermögen des edlen Stifters ist schon seit der Hyperinflation in den 1920er Jahren vernichtet.
Der früher betriebene Kindergarten ist seit 60 Jahren geschlossen. Die Wohnräume für die Erzieherinnen im Obergeschoss werden schon lang nicht mehr gebraucht. Die Gemeinde würde das Haus für einen Euro von der Stiftung bekommen, hat aber kein Interesse. Sonst auch niemand. „Warum stellen sich alle quer statt das Haus zu retten? Warum bekommen alle anderen ein Dorfhaus, aber wir nicht?“, fragt Stephanie Hassel. „Unser ganzes Traditionsleben hängt daran, dass das Haus nicht zerfällt. Wir feiern die Kirchweih seit Jahren in einer Maschinenhalle. Ich sehe unsere Traditionen den Bach runter gehen. Und die Kinder haben auch nichts mehr für die Gemeinschaft.“
„Wenn man alles auf sich sitzen lässt, kommt man nicht weit.”
Die einstige Schule in Ezelheim ist verkauft, das Rathaus abgerissen, die vorletzte Wirtschaft längst ein Wohnhaus, in der letzten läuft der Betrieb langsam aus Altersgründen aus. Im Dornberger-Haus sind derzeit nur zwei Räume zu nutzen. Nach seiner Sanierung und ein paar Veränderungen bei den Wänden wäre es ein ideales Gemeinschaftshaus, für die Jugendarbeit und die Vereine, für Feiern, Taufen, Geburtstage, Kindergottesdienst, fürs Kinderturnen, Basteln, Kochen und alles, was ein Dorf zusammenhält. „Alle kriegen sowas, aber wir nicht, weil keiner im Dorf etwas tut“, dachte sich Stehanie Hassel. „Wenn man alles auf sich sitzen lässt, kommt man nicht weit. Irgendwann muss man sich auch mal unbeliebt machen. Dann heißt es kämpfen, kämpfen, kämpfen.“
Sie fand heraus, dass der damalige Bürgermeister schon vor 20 Jahren alle Gutachten zur maroden Decke hatte. „Die ist undicht. Aber weil das Haus der Stiftung gehört und nicht der Gemeinde, ist immer nur Streiterei. Das Denkmalamt war schon vor zehn Jahren einmal dran, aber das ist wieder im Sand verlaufen.“
Die Handelsfachwirtin, im beruflichen Alltag an praktische Projekte gewohnt, hat sich in die wundersame Welt des weiß-blauen Staatswesens eingearbeitet. „Mittlerweile weiß ich, welche Ämter es in Bayern alles gibt. Aber es ist keiner da, der mal sagt, so machen wir das. In jedem Amt schiebt es der eine auf den anderen. Das ärgert mich richtig.“
Der fast unveränderte Zustand des Dornberger-Hauses macht alles noch komplizierter. „Das ist Fluch und Segen zugleich. Dadurch gibt es Auflagen, die nicht zu stemmen sind. Das Denkmalamt will sehr viel erhalten, aber wir brauchen eine Nutzung als Dorfhaus. Oben die Wohnräume, die einst für die Kindergärtnerinnen gebaut wurden, machen keinen Sinn mehr, da brauchen wir einen Versammlungsraum.“
Inzwischen hat die 35-Jährige einige Mitstreiter gefunden. Sie hat die Dornberger´sche Stiftung, die lange im Dornröschenschlaf lag, wiederbelebt und ist ihre Vorsitzende geworden. Sie hält Vorträge und ist im ständigen Kontakt mit allen Behörden, die für das Projekt in Frage kommen. Doch die Suche nach einer Rettung des Wahrzeichens von Ezelheim ist schwer. Bisher will das komplizierte Geflecht aus Zuständigkeiten niemand angehen.
Stephanie Hassels Bemühen ist bis jetzt irgendwo zwischen Gemeinde, dem Amt für Ländliche Entwicklung, Dorferneuerung, Bezirksregierung, Denkmalschutz und Förderprogrammen zur Stärkung der bayerischen Ortszentren versickert. „Momentan renne ich im Kreis.“ Sie hofft nun auf Unterstützung von Ministerpräsident Markus Söder, dem sie einen Brief schickte. „Er will ja die ländliche Entwicklung stärken.“
„Sobald man Licht macht, kommt jemand.”
Im Gemeinderat ist die Bereitschaft zum Helfen gewachsen, Stephanie Hassel hofft auf einen konkreten Start für die erste kleine Rettungsmaßnahme, um das Dach zu sichern. Die Ungewissheit schreckt sie nicht ab. „Für mich war das alles Neuland. Aber was soll ich kaputt machen? Weniger als gar nicht geht ja nicht.“
An den Adventssonntagen leuchtet aus den Fenstern zur Hauptstraße für ein paar Stunden warmes Licht. Es macht das Dornberger-Haus für Stunden wieder zum Treffpunkt für Ezelheim. „Sobald man Licht macht, kommt jemand“, sagt sich Stephanie Hassel freudig. Für sie ist es Ansporn, weiter für die Sanierung zu einem Gemeinschaftshaus zu arbeiten. „Das muss zu schaffen sein.“