Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat einen umstrittenen Kernpunkt des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) bestätigt - allerdings mit gewissen Einschränkungen. Die Generalklausel, was die Polizei in Fällen einer „drohenden Gefahr“ tun darf, ist insgesamt nicht verfassungswidrig. Das Gericht gab für die Praxis aber verpflichtende Hinweise, wie die umstrittene Norm ausgelegt werden muss, schränkte den möglichen Anwendungsbereich also etwas ein. Die Kläger, darunter Grüne und SPD, werteten das Urteil am Ende ebenso als Erfolg wie die Staatsregierung.
Das PAG regelt, was die bayerische Polizei tun darf, um Gefahren zu verhindern - also bevor eine Straftat begangen werden kann. Das ist nämlich Ländersache. Was Polizistinnen und Polizisten zur Aufklärung von Verbrechen tun dürfen, ist dagegen in anderen Gesetzen und bundesweit einheitlich geregelt.
Im aktuellen Verfahren ging es um den Begriff einer sogenannten drohenden Gefahr (im Gegensatz zu einer konkreten Gefahr), der vor einigen Jahren ins PAG aufgenommen wurde. Genauer gesagt darum, ob eine solch „nur“ drohende Gefahr ausreichend ist, um der Polizei weitreichendere Befugnisse zur Verhinderung möglicher Straftaten zu geben - oder ob der Begriff eben nicht konkret genug definiert ist.
Und die Richter mussten klären, in welchen Fällen die Polizei bei einer „drohenden Gefahr“ welche Maßnahmen ergreifen darf und welche nicht. Anlass für die Entscheidung waren Klagen von Grünen und SPD und eine Popularklage von knapp zwei Dutzend Antragstellern.
Das Gericht entschied nun, dass die Generalklausel für Fälle einer „drohenden Gefahr“ insgesamt nicht verfassungswidrig ist - die Klausel entspricht der Bayerischen Verfassung aber nur „in einer bestimmten Auslegung“, wie Gerichtspräsident Hans-Joachim Heßler bei der Urteilsverkündung sagte.
Dafür nannte er drei Maßgaben: Wenn die Polizei „Vorbereitungshandlungen“ sieht, die den Schluss auf ein drohendes „konkretisiertes Geschehen“ zulassen, gibt es keine Einschränkungen. Wenn die Polizei dagegen handeln will, weil aus ihrer Sicht das individuelle Verhalten einer Person lediglich die „konkrete Wahrscheinlichkeit“ für Angriffe „von erheblicher Intensität oder Auswirkung“ begründet, dann muss es sich dabei um terroristische oder vergleichbare Angriffe auf bedeutende Rechtsgüter handeln.
Zum Zweiten, so das Gericht, dürften schwerste Grundrechtseingriffe nur für eine Übergangszeit bei neuartigen Gefährdungslagen auf die Generalklausel im PAG gestützt werden. Und: Die Polizei darf laut Gericht in allen Fällen einer „nur“ drohenden Gefahr lediglich solche Maßnahmen ergreifen, „die nicht tief in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen“. Werden diese Maßgaben bei der Auslegung der Norm beachtet, ist sie verhältnismäßig.
Der Argumentation der Kläger und ihrer Prozessvertreter, der Begriff der drohenden Gefahr sei zu unbestimmt, folgte das Gericht nicht: Im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot sei der PAG-Artikel nicht zu beanstanden. Das freut die Staatsregierung, die die betreffende Vorschrift in dem Gesetz stets als ausreichend präzise und damit als verfassungsgemäß verteidigt hatte.
Das Gericht billigte auch die Liste der „bedeutenden Rechtsgüter“, bei deren absehbarer erheblicher Bedrohung die Eingriffsschwelle für die Polizei herabgesetzt werden darf. Dazu gehören laut bayerischem PAG „der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes; Leben, Gesundheit oder Freiheit; die sexuelle Selbstbestimmung (...) oder Anlagen der kritischen Infrastruktur sowie Kulturgüter von mindestens überregionalem Rang“.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte, das Gericht habe klargestellt, dass die Regelung zur „drohenden Gefahr“ nicht gegen die Bayerische Verfassung verstoße. „Damit haben wir nun Rechtsklarheit für die bayerische Polizei und unsere Bürgerinnen und Bürger. Das ist besonders in der aktuellen Zeit wichtig. So kann die Polizei Gefahren effektiv abwehren, unsere Sicherheit gewährleisten und gleichzeitig unsere Freiheitsrechte schützen.“ Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft sieht jetzt Rechtssicherheit hergestellt.
Die SPD betonte dagegen, zwar sei der Begriff der „drohenden Gefahr“ rechtmäßig, aber unter Bedingungen.„Das Gericht hat zur Anwendung der drohenden Gefahr Leitplanken für die Praxis eingezogen, die bildlich gesprochen aus einer sechsspurigen Autobahn eine Landstraße machen“, argumentierte der SPD-Rechtsexperte Horst Arnold. Damit werde die Anwendung der Norm für die Praxis allerdings noch komplizierter, warnte er.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze nannte das Urteil einen großen Erfolg. Der Verfassungsgerichtshof habe klargestellt, dass die Eingriffsschwelle der „drohenden Gefahr“ nur unter strengen einschränkenden Voraussetzungen mit der Verfassung vereinbar sei und sehr eng ausgelegt werden müsse.
Das bayerische PAG, gegen dessen Verschärfungen vor einigen Jahren teils Zehntausende Menschen demonstriert hatten, wurde schon mehrfach zum Fall für den Verfassungsgerichtshof. Etwa wegen der Möglichkeit, dass Menschen auf Anordnung eines Richters bis zu einem Monat in sogenanntem Präventivgewahrsam festgehalten werden dürfen. Und auch mit dem jetzigen Urteil ist der juristische Streit nicht vorbei. Beispielsweise sind auch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe noch Klagen gegen das PAG anhängig.
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