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Veröffentlicht am 03.09.2022 05:44

Neues Entlastungspaket - Was die Ampelkoalition plant

Die Ampel-Koalition will ein neues bundesweit gültiges Nahverkehrsticket schaffen. (Foto: Arne Dedert/dpa)
Die Ampel-Koalition will ein neues bundesweit gültiges Nahverkehrsticket schaffen. (Foto: Arne Dedert/dpa)
Die Ampel-Koalition will ein neues bundesweit gültiges Nahverkehrsticket schaffen. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Zur Abfederung steigender Lebenshaltungskosten stockt die Bundesregierung die Finanzmittel erheblich auf: Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich auf ein drittes Entlastungspaket im Umfang von etwa 65 Milliarden Euro geeinigt. Es ist damit mehr als doppelt so groß wie die ersten beiden Pakete mit ihren zusammen rund 30 Milliarden Euro. „Deutschland steht zusammen in einer schwierigen Zeit“, erklärte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag bei der Vorstellung der Ergebnisse im Berliner Kanzleramt. „Wir werden als Land durch diese schwierige Zeit kommen.“

Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP hatten etwa 18 Stunden lang bis zum Sonntagmorgen über Details verhandelt. Neben Scholz nahmen unter anderem Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) an den Beratungen teil.

Eine durchverhandelte Nacht später steht ein Paket, „von dem man durchaus sagen kann, dass es wuchtig ist“, wie Lindner zufrieden anmerkt - denn das hatte er vorher ebenso wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gefordert. Grünen-Chef Omid Nouripour lobt das Werk als „substanziell und rund“. Die Grünen können insbesondere auf Geld für den Nahverkehr und Unterstützung für Menschen mit wenig Geld verweisen. Der SPD sind die gezielten Entlastungen für Rentner und Studierende wichtig. Die FDP wiederum verbucht Unterstützung für Lindners neueste Steuerpläne auf der Haben-Seite.

Die Reaktionen auf das Paket fielen kontrovers aus. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kritisierte es etwa als enttäuschend: „Die Ausweitung des Sozialstaates kann keine Antwort auf eine Kosten-Steigerung der Energiepreise auf dem Weltmarkt sein.“ DGB-Chefin Yasmin Fahimi bezeichnete das Paket dagegen als „insgesamt beeindruckend“.

Das 9-Euro-Ticket soll einen bundesweit gültigen Nachfolger bekommen, und zwar in der Preisspanne von 49 bis 69 Euro pro Monat. Der Bund will 1,5 Milliarden Euro dafür zuschießen, wenn die Länder mindestens ebenso viel zahlen.

Beim letzten Paket gab es viel Kritik daran, dass Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende zu kurz gekommen seien. Rentner sollen nun zum 1. Dezember eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro erhalten. Studierende und Berufsfachschülerinnen und -schüler sollen eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro erhalten.

Privathaushalte sollen die Strommenge für einen Basisverbrauch zu einem vergünstigten Preis erhalten. Für kleine und mittlere Unternehmen mit Versorgertarif soll dies auch gelten. Auch die für den Strompreis relevanten Netzentgelte sollen bezuschusst werden. Der CO2-Preis, der Heizen und Tanken im Sinne des Klimaschutzes teurer macht, soll im nächsten Jahr nicht wie geplant um fünf Euro auf 35 Euro pro Tonne steigen, sondern erst 2024.

Wer Wohngeld bekommt, soll im Herbst einen einmaligen Heizkostenzuschuss erhalten, für einen Ein-Personen-Haushalt sind es 415 Euro. Bei der zum Jahresbeginn geplanten Wohngeldreform soll der Zuschuss zur dauerhaften Komponente werden, zudem der Kreis der Wohngeldberechtigten erweitert werden. Bedürftige sollen mit der für 1. Januar geplanten Weiterentwicklung des heutigen Hartz-IV-Systems zu einem Bürgergeld um 50 Euro höhere Regelsätze erhalten - etwa 500 Euro monatlich. Die Berechnung der Sätze soll außerdem künftig nicht mehr der Preissteigerung hinterherhinken, sondern die erwartete Inflation vorwegnehmen.

Beschäftigung knapp über der Mini-Job-Schwelle mit geringeren Sozialbeiträgen soll erleichtert werden. Die sogenannten Midi-Jobs sollen künftig monatlich bei bis zu einem Verdienst von 2000 Euro liegen können.

48 Millionen Bürgerinnen und Bürger sollen bei der Steuer entlasten werden. Dazu soll an Stellschrauben des Einkommensteuertarifs gedreht werden. Steuererhöhungen infolge der Inflation sollen verhindert werden. Denn durch die sogenannte kalte Progression droht vielen Menschen unter anderem, dass ihre Kaufkraft trotz Gehaltserhöhungen sinkt.

Das Kindergeld soll zum 1. Januar um 18 Euro monatlich für das erste und zweite Kind angehoben werden. Die Erhöhung soll für 2023/2024 gelten. Heute beträgt das Kindergeld 219 Euro für das erste und zweite Kind. Beim Kinderzuschlag für Familien mit niedrigem Einkommen soll der Höchstbetrag ab 1. Januar auf 250 Euro monatlich steigen.

Energieintensive Unternehmen, die Kostensteigerungen nicht weitergeben können, sollen mit einem neuen Programm unterstützt werden. Bestehende Unternehmenshilfen unter anderem mit zinsgünstigen Krediten und erweiterten Bürgschaften sollen bis 31. Dezember verlängert werden. Geprüft werden Schritte für Unternehmen, die aufgrund von Gasmangel und hoher Energiepreise die Produktion zeitweise einstellen müssen.

Ungefähr die Hälfte, nämlich 32 Milliarden Euro, kommt laut Finanzminister Lindner aus den Bundeshaushalten des laufenden und des kommenden Jahres. Und zwar, wie er betont, ohne dass ein Nachtragshaushalt für 2022 oder die Aufweichung der Schuldenbremse, die der Neuverschuldung des Bundes enge Grenzen setzt, im kommenden Jahr nötig sei. Auch die Einnahmen aus der Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“ von Energieunternehmen durch extrem hohe Strompreise sollen in Entlastungen fließen. Hinzu kommen laut Lindner höhere Steuereinnahmen sowie Vorsorge, die schon im Haushalt getroffen worden sei.

So zufrieden sich die Ampel-Vertreter mit den Ergebnissen zeigten, so mühsam war wohl der Weg mit etwa 18 Stunden Verhandlungen, die Grünen-Chef Nouripour als „zeitweilig aufreibend“ beschrieb. „Alle mussten einen weiten Weg gehen für einen großen Sprung.“ Der Weg führte wie auch schon beim ersten Entlastungspaket durch eine lange Nacht, in der keine Details den Weg in die Öffentlichkeit fanden. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) twitterte am Sonntagmorgen: „Schlaf wird überbewertet...“.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) forderte am Sonntag Bund-Länder-Beratungen zu dem Thema. „Wenn die Länder mit bezahlen sollen, müssen sie auch mit entscheiden können“, sagte der aktuelle Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz den Zeitungen der Mediengruppe Bayern (Montag). Es gebe noch viele offene Fragen. „Darüber sollte sehr zeitnah bei einer Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler beraten werden.“

Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann forderte die rasche Einberufung einer Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD).

© dpa-infocom, dpa:220903-99-613851/35

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