Es gibt den schönen Spruch „Totgesagte leben länger“. Im Fall der Musikkassette trifft das ganz offensichtlich zu. Denn Kompaktkassetten liegen wieder im Trend – und die passenden Abspielgeräte gleich mit.
Wer seine Sammlung und den Rekorder, das Tapedeck oder zumindest den Walkman behalten hat, kann sich freuen, wenn die Kassetten beim Aufräumen oder Umzug wieder auftauchen. Andere beginnen dagegen gerade erst die Suche nach gut erhaltenen Schätzen. Expertinnen und Experten erklären, worauf es bei Audiokassetten & Co ankommt - und woher die Kassette überhaupt kommt.
Die Anfänge der Kompaktkassette gehen zurück ins Jahr 1963. Damals präsentierte Philips auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin die erste Kassette. Tonbänder existierten bereits seit den 1930er-Jahren, doch die kompakte Größe der Kassette eröffnete neue Nutzungsmöglichkeiten.
„Der Legende nach soll der Erfinder Lou Ottens stets einen Holzklotz in der Tasche getragen haben, um die ideale Größe zu demonstrieren“, erzählt die Medienwissenschaftlerin Laura Niebling von der Universität Regensburg, die die Tonträgergeschichte Deutschlands nach 1945 erforscht hat.
Ab den 1970er Jahren produzierten und verbreiteten Philips und andere Firmen Kassetten in großen Mengen. Philips hatte zunächst mit Grundig zusammengearbeitet, dann aber eigene Produkte und Abspielgeräte entwickelt.
Einige Bestandteile patentierte Philips bewusst nicht, vor allem bei der Kompaktkassette. Ein kluger Schachzug, weil so andere Firmen das Konzept aufgreifen und Tonträger massenhaft herstellen konnten. Niebling fasst zusammen: „Das, was eigentlich Geld brachte, waren die Abspielgeräte.“ So konnte der legendäre Walkman von Sony ab 1979 seinen Siegeszug antreten.
„Am Anfang war die Qualität schlechter als die der Schallplatte“, sagt Rudolf Opitz vom „c't“-Fachmagazin. Das änderte sich jedoch, als neue Bandmaterialien verwendet wurden. „Am Ende konnte eine Kassette sogar besser sein als eine Schallplatte, allerdings war sie dann sehr teuer“, sagt Opitz.
Eine entscheidende Entwicklung hin zu besserer Klangqualität bei Kassetten sei die Dolby-Rauschunterdrückung gewesen, erklärt Medienforscherin Niebling. Doch es half zunächst alles nichts: Als in den 1980er-Jahren die CD und mit ihr der Discman aufkamen, läutete die neue Technik das Ende der Kassette ein. „Die CD hatte eine ganz klar bessere Klangqualität als die Kassette und selbst als die Schallplatte“, sagt Niebling.
In den 2000er Jahren gab es Niebling zufolge schließlich kaum noch Firmen, die Kassetten vertrieben oder herstellten. Dann habe eine Retro-Welle die Produktion etwa in den USA von 2015 bis 2022 wieder um 440 Prozent ansteigen lassen. „In Relation zu dem eigentlich komplett toten Markt ist das trotzdem überschaubar“, ordnet Laura Niebling ein. Die Materiallage war schwierig, insbesondere 2019 wurde Eisenoxid knapp, das für die Herstellung der Bänder nötig ist.
Mittlerweile aber bringen viele Bands ihre Alben wieder - und manche sogar nur noch - auf Kassette heraus, etwa im Heavy-Metal-Bereich. Serien wie „Stranger Things“, die die 1980er Jahre wieder aufleben lassen, befeuern das Revival. „Diese Nostalgie wirkt selbst auf Menschen, die die 1980er Jahre gar nicht miterlebt haben“, sagt Medienforscherin Niebling. In Japan ist für manche junge Menschen die Kassette das, was für die vorherige Generation die Schallplatte war.
Die Menschen suchten nach Zugehörigkeit, einer heilen Welt, vielleicht auch einer einfacheren Zeit mit nur wenigen verfügbaren Medien und Content, so Niebling. „Das ist natürlich auch nur eine Wohlfühl-Erzählung, die Dinge wie etwa den Kalten Krieg in der Regel ausblendet“, sagt Niebling.
Zu der Erzählung gehöre auch der Glaube, die Tonträger hätten einen natürlicheren Sound und ein natürlicheres Material. „Man kann die Kassette in die Hand nehmen und mit ihr arbeiten, um zum Beispiel Mixtapes aufzunehmen, sie ist nicht so abstrakt wie Streaming“, sagt Niebling. Allerdings sei das ein westliches Phänomen. „In Afrika waren Kassetten lange noch sehr viel wichtiger als in Europa“, erklärt Niebling.
Wer jetzt vor lauter Nostalgie auf den Dachboden stürmt, um die alten Kassetten zu begutachten, sollte Rudolf Opitz zufolge auf Folgendes achten: Läuft das Band noch sauber und gerade? Ist es von Schimmel befallen? „Ob die Bänder innen verklebt sind oder die magnetische Beschichtung noch intakt ist, ist von außen schwer feststellbar, aber wenn schon Teile abbröckeln, würde ich das nicht mehr in mein gutes Tapedeck legen“, sagt Opitz.
Besser zieht man das Band mit einem Bleistift etwas heraus und schaut, ob sich etwas löst. Sollte die Nostalgie-Welle irgendwann einmal wieder abebben, lagert man die Kassetten am besten kühl und trocken, ohne magnetische Störquellen in der Umgebung und in dicht verschließbaren Hüllen. So können Audiokassetten nach Angaben mancher Hersteller 30 bis 40 Jahre überleben.
Erfreulicherweise sind Musikfreundinnen und -freunde nicht allein auf ihre alten Schätze festgelegt. Neue Leerkassetten, sogar Ersatzhüllen gibt es nach wie vor zu kaufen. Sowohl direkt bei einzelnen Herstellern und in Onlineshops als auch in Musikläden, Elektronikmärkten und bei manchen Drogerieketten. Eine 90-Minuten-Kassette kostet etwa um die vier Euro
Und natürlich findet sich vor allem in Internet so ziemlich alles zum Abspielen, was man sich vorstellen kann: Kinderkassettenrekorder, Tapedecks, Kassetten-Autoradios oder Boomboxen - sowohl neu als auch gebraucht.
Selbst der Walkman feierte bereits sein Comeback - auch wenn nur Sony den geschützten Markennamen für seine Geräte verwenden darf. Tragbare Kassettenabspieler aller möglichen Hersteller sind neu aber bereits für um die 20 Euro zu haben. Ansonsten sind Online-Marktplätze, Kleinanzeigen und Flohmärkte eine wahre Fundgrube, um ein wenig auf der Nostalgiewelle zu reiten und in Kassettengeräten aller Art zu stöbern.
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