Psychischen Erkrankungen vorbeugen - So kann es klappen | FLZ.de | Stage

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Veröffentlicht am 04.10.2024 00:07

Psychischen Erkrankungen vorbeugen - So kann es klappen

Rausgehen, bewegen, innehalten: Das hilft, den Kopf freizubekommen. (Foto: Marcus Brandt/dpa/dpa-tmn)
Rausgehen, bewegen, innehalten: Das hilft, den Kopf freizubekommen. (Foto: Marcus Brandt/dpa/dpa-tmn)
Rausgehen, bewegen, innehalten: Das hilft, den Kopf freizubekommen. (Foto: Marcus Brandt/dpa/dpa-tmn)

Auf den ersten Blick ist es vielleicht nur eine Phase: Dass man sich schon von Kleinigkeiten überfordert fühlt, man sich an nichts mehr erfreuen kann. Dass man Freunde und Hobbys vernachlässigt und nachts ständig das Gedankenkarussell kreist. Doch all dies sind Warnzeichen - und ein deutlicher Hinweis, dass man die Reißleine ziehen sollte.

„Ängste, Depressionen, Suchtkrankheiten oder totale Erschöpfung: Millionen von Menschen leiden unter psychischen Belastungen“, sagt der Psychologe und Buchautor Rolf Schmiel („Toxic Jobs“). Ähnlich wie bei physischen Krankheiten kann man aber auch hier selbst vorbeugen und das Risiko verringern.

Ein Risiko sei etwa der sogenannte „mental Overload“: Wenn dauerhaft im Kopf und in der Seele zu viel los ist und dies so belastend wird, dass man sich krank fühlt.

Wenn die Langeweile einsetzt, beginnt die Entspannung

Also aufpassen. Es lässt sich eine Menge verhindern, sagt der Experte. Wobei der erste Trick der schwerste und einfachste zugleich sei: „Lerne wieder richtig Pause zu machen!“ rät Schmiel. So wie die Italiener es als „dolce far niente“, süßes Nichtstun, beschreiben. Wobei mit „nichts“ eben auch wirklich „nichts“ gemeint ist: Nämlich vor allem „das Befeuern des Nervensystems“ durch Reize von außen auszusetzen. 

Dabei gilt die alte Therapieweisheit: Wenn die Langeweile einsetzt, beginnt die Entspannung. Und Langeweile müssen wir oft auch erst einmal aushalten können.

Also vor allem: Das Smartphone weglegen, rät Schmiel, und keine Reize von außen suchen. Ganz wichtig: Diese Zeit nicht mit Grübeln verbringen, sondern stattdessen versuchen, „runterzukommen“. Das ist ein Prozess, bei dem es hilft, das Gehirn ganz leicht zu beschäftigen. 

Das geht etwa, indem man sich auf eine Parkbank setzt und sich in einer Art Achtsamkeitsübung darauf zu konzentriert: Wie sieht der Baum aus, wie sind die Blätter und die Rinde beschaffen. Der Vorteil: „Wenn wir uns mit leichten kognitiven Aufgaben beschäftigten, hat unser Bewusstsein nicht die Chance, uns mit Selbstvorwürfen, Kritik und nicht erledigten Aufgaben anzufachen.“ 

Selbstschutz, bevor es kippt

Denn so wie ein Muskel, der permanent unter Anspannung steht und dann irgendwann mit einem Krampf oder einem Riss reagiert, verhält sich auch unser Kopf: Er macht dicht. Häufig sind psychische Erkrankungen daher eine Form von Selbstschutz. „Damit wir nicht völlig durchdrehen, werden wir antriebsgehemmt, traurig, sind nicht mehr belastbar“, sagt Schmiel. Sozusagen als ein bewusstes Stoppen von Prozessen, bevor es irgendwann komplett kippt.

Stress kann ein Zeichen dafür sein, dass die Gefahr besteht. Wenn wir in Stress kommen, rät Schmiel: „Nicht das Problem lösen, sondern den Moment.“ Anders formuliert: „Wenn du es eilig hast, geh langsam.“ Der größte Irrtum sei, zu meinen, auf der Stelle reagieren zu müssen, wenn die Rechnung vom Finanzamt oder der Anruf vom Chef kommt. „Die meisten machen den Fehler und rennen von Aufgabe zu Aufgabe, machen neue Fehler und geraten in eine Abwärtsspirale.“ 

Besser ist es jedoch, sich selbst erst einmal zu beruhigen - vielleicht mit einer Klopftechnik, lautem Singen oder kaltem Wasser über den Händen. „Das beste Mittel gegen eine psychische Erkrankung ist eine bewusste Entscheidung zur Selbstfürsorge“, sagt Schmiel. Und die sollte man auch umsetzen, auch wenn nicht alle das gut finden.

Everybody’s Darling ist everybody’s Depp

Um psychisch gewappnet zu sein, hilft es auch, zu lernen, es nicht jedem recht machen zu wollen: „Everybody’s Darling ist everybody’s Depp“, sagt Schmiel. Besser sei es, Grenzen zu setzen, gut zu sich selbst zu sein und den eigenen Akku aufzuladen. Etwa, indem man spazieren geht, Sport an der frischen Luft macht, in die Sauna geht oder zur Ayurveda-Massage. Kurz: Mehr von dem zu tun, was einen selbst glücklich macht. 

Wie oft? „Mindestens eine halbe Stunde am Tag“, sagt Schmiel. „Wer dafür keine Zeit hat, sollte es mit einer Stunde versuchen.“ Denn wenn man es nicht schafft, einfach mal nur für sich selbst da zu sein, „dann hast du ein tierisches Problem, dann wird es höchste Zeit, dass du deine eigenen Bedürfnisse ernst nimmst.“

Sein Tipp: Von jungen Menschen lernen, die in ihrem Leben Wert auf eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Privatleben legen. Die Generation Z etwa werde dafür oft kritisiert, mache es aber genau richtig. Denn wer Selbstfürsorge betreibt, sei langfristig belastbarer.

Manchmal professionelle Hilfe erforderlich

Übrigens: Wer feststellt, dass das gute Auf-Sich-Selbst-Achten oder ein echter Urlaub zwei Wochen von zu Hause entfernt nicht ausreichen, um zur Ruhe zu kommen und neue Kraft zu schöpfen, an den appelliert der Psychologe dringend, sich professionelle Hilfe zu suchen: 

„Dann ist man kurz vor dem Burnout“, warnt er. Zudem könnten es Anzeichen dafür sein, dass schwerwiegende Belastungselemente wie eine genetische Disposition oder ein frühkindliches Trauma vorliegen. „Dann braucht es Therapie und manchmal auch Medikamente.“

© dpa-infocom, dpa:241003-930-251186/1


Von dpa
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