Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys „Zentrale“ | FLZ.de | Stage

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 30.03.2025 09:01

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys „Zentrale“

Der Schauspieler Bert Oberdorfer, der regelmäßig mit einer Tucholsky-Revue auftritt, ist immer wieder überrascht, wie aktuell die Texte des Journalisten und Satirikers noch sind.   (Foto: Oliver Berg/dpa)
Der Schauspieler Bert Oberdorfer, der regelmäßig mit einer Tucholsky-Revue auftritt, ist immer wieder überrascht, wie aktuell die Texte des Journalisten und Satirikers noch sind. (Foto: Oliver Berg/dpa)
Der Schauspieler Bert Oberdorfer, der regelmäßig mit einer Tucholsky-Revue auftritt, ist immer wieder überrascht, wie aktuell die Texte des Journalisten und Satirikers noch sind. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Wer kennt das nicht: Man will im Job eine eigene Idee verwirklichen, wird aber von der Zentrale gestoppt, weil die Chefs dort Bedenken haben. Oder auch: Man rackert sich ab, könnte gut Hilfe gebrauchen - aber stattdessen sind da nur mehrere Vorgesetzte, die wohlfeile Ratschläge geben. Genau das beschrieb schon vor 100 Jahren der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky. 

Am 31. März 1925 erschien der satirische Text „Die Zentrale“ unter seinem Pseudonym Peter Panter in der Zeitschrift „Die Weltbühne“. 

Von der Zeitung zur Kleinkinderbewahranstalt

Der erste Satz zeigt schon, in welche Richtung es geht: „Die Zentrale weiß alles besser.“ Welche Zentrale hier gemeint ist, lässt Tucholsky offen, denn es spielt auch keine Rolle - es geht um das Prinzip. 

Und das ist heute noch sofort wiedererkennbar, egal ob man für ein Unternehmen, eine Behörde, Regierung, Gewerkschaft, Umweltorganisation oder was auch immer arbeitet. 

In Tucholskys Worten: „für Kleinkinderbewahranstalten, Außenministerien, Zeitungen, Krankenkassen, Forstverwaltungen und Banksekretariate“. 

Die Zentrale, so Tucholsky, habe zunächst einmal das Hauptinteresse, Zentrale zu bleiben. „Gnade Gott dem untergeordneten Organ, das wagte, etwas selbstständig zu tun! (...) Erst muss die Zentrale gefragt werden.“ Die Leute aus der Zentrale „klopfen dir auf die Schulter und sagen: „Lieber Freund, Sie können das von Ihrem Einzelposten nicht so beurteilen!”“ 

Die Zentrale, so Tucholsky weiter, „ist eine Kleinigkeit unfehlbarer als der Papst, sieht aber lange nicht so gut aus.“ Der bekannteste Satz des nur sechs Absätze langen Textes, der immer mal wieder einzeln zitiert wird, lautet: „Einer hackt Holz, und dreiunddreißig stehen herum - die bilden die Zentrale.“ Ein schönes Bild für die Wasserköpfigkeit aufgeblasener Hauptquartiere. 

„Ich bin immer wieder überrascht, wie frisch und aktuell Tucholskys Texte geblieben sind“, sagt der in Köln lebende Schauspieler Bert Oberdorfer, der regelmäßig mit einer Tucholsky-Revue unter dem Titel „Lerne lachen ohne zu weinen“ auftritt. „Leider“, fügt er hinzu. „Denn oft prangert er ja Missstände an wie etwa Demokratiefeindlichkeit.“

Kurzzeitig war Tucholsky auch mal selbst die Zentrale

Hat Tucholsky selbst unter Zentralen gelitten? „Ja, das hat auch biografische Wurzeln, weil er Ähnliches schon im Krieg erlebt hat“, sagt Frank-Burkhard Habel, Vorsitzender der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft. „Es gibt einen Artikel, den er 1920 unter dem Titel „Die Herren Veranlasser” geschrieben hat, und da ist er auch schon darauf eingegangen, dass beim Militär eine Hierarchie besteht, die viele Unteroffiziere und dergleichen beschäftigt, ohne dass die wirklich etwas zu tun hätten.“ 

Tucholsky war 1915 im Ersten Weltkrieg eingezogen und als Soldat an die Ostfront geschickt worden. Die meiste Zeit war er hinter der Front eingesetzt, „in der Etappe“, wie es hieß. „Ich habe mich dreieinhalb Jahre im Kriege gedrückt, wo ich nur konnte“, schrieb er später. 

Auch der Journalist Friedhelm Greis, Autor des Tucholsky-Blogs „sudelblog.de“, ist davon überzeugt, dass die Erfahrungen mit der Militärbürokratie im Ersten Weltkrieg Tucholsky stark geprägt haben.

Nach dem Krieg war Tucholsky circa ein Jahr als Jurist für eine Bank tätig. „Da hat er auch diese Hierarchien erlebt und sich darüber immer wieder lustig gemacht“, so Habel. Die kleine Redaktion der „Weltbühne“ mit seinem väterlichen Freund und Mentor Siegfried Jacobsohn an der Spitze war für ihn dagegen eher ein Zuhause und ein positives Gegenbeispiel. „Da hat er gesehen, dass es möglich ist, dass auch alle ein eigenes Aufgabengebiet haben können, das sie eigenverantwortlich bearbeiten und ausfüllen, dass es also auch anders geht.“ 

Als Jacobsohn dann unerwartet in jungen Jahren starb, übernahm Tucholsky gezwungenermaßen für einige Monate die Chefredaktion der „Weltbühne“, war also sozusagen nun selbst die Zentrale - der „Oberschriftleitungsherausgeber“, wie er es selbstironisch nannte. 

Diese Leitungsfunktion gefiel ihm gar nicht. Eine Bekannte, die ihn einige Monate später besuchte, erlebte ihn völlig verändert - antriebslos, müde, niedergeschlagen und unentwegt Männchen auf einen Block malend. 

Die Redaktionsleitung sei grauenhaft, klagte er, „alles zerflattert einem unter den Fingern“. Deshalb war er nur zu froh, den Chefposten nach fünf Monaten an Carl von Ossietzky abgeben zu können. Insofern: Man kann herrlich über die Zentrale ablästern - aber es selbst zu machen, ist auch keine Lösung.

© dpa-infocom, dpa:250330-930-418464/1


Von dpa
north