Jedes Jahr scheint der Sommer viel zu schnell vorüberzugehen. Schwere Themen wie Krieg und Terrorismus waren in den letzten Wochen sehr präsent (Ukraine, Gaza, Israel, Sudan, Mannheim, Solingen, Absage der Wien-Konzerte von Taylor Swift). Anstrengend erscheinen vielen auch die Wahlkämpfe (USA, Thüringen, Sachsen...).
Zeit für leichtere Themen und Small Talk? Ein Lexikon des Lebensgefühls von Juni bis August 2024:
Um den Plastikmüll in der Umwelt zu verringern, sind nun seit Anfang Juli in Deutschland lose Verschlusskappen bei bestimmten Getränken verboten. Grund für die nun verbindliche Einführung der „angebundenen Deckel“ (tethered caps) ist eine EU-Richtlinie. Ihr liegt eine Studie zugrunde, dass Kunststoffdeckel zum häufigsten Plastikmüll an Stränden gehören.
„Geh ins Gymmie, werde skinny“: Der Hit von Shirin David irritiert mit seiner scheinbar ungebrochenen Verherrlichung eines trainierten schlanken Körpers. Wie auch immer gemeint: David ist in Sachen Nummer-eins-Hits die erfolgreichste Sängerin in Deutschland. Keine Solo-Sängerin hat bislang mehr Songs auf Platz eins gehabt als sie.
Beim Ausgehen und auch im Biergarten wird man in Deutschland immer öfter mit einer polarisierten Welt konfrontiert: Mal geht NUR Bargeld, mal NUR Kartenzahlung. Extreme.
Das altmodische Wort bedeutet so viel wie zurückhaltend. Plötzlich war es dank Tiktok-Trend und Creatorin Jools Lebron in aller Munde. Die Trans-Frau sprach in einem Video über ihr Make-up. Die Phrase „very demure, very mindful“ (sehr bescheiden, sehr aufmerksam) boomt nun und zeigt auch viel Ironie, denn das Wort wird oft gegenteilig genutzt, wenn etwas so gar nicht zurückhaltend, schüchtern, niedlich, knuffig und so weiter ist.
Die Welt schaute zu, als Paris etwas verregnet am 26. Juli seine Olympischen Spiele mit einer außergewöhnlichen Show auf der Seine eröffnete. Aufregung gab es wegen angeblich zu vieler Dragqueens und einer vermuteten Verhöhnung des Christentums; doch am Ende triumphierte die Liebe und die schwer kranke Sängerin Celine Dion, die auf dem Eiffelturm „L'hymne à l'amour“ sang.
Der Star im legendären „Jedermann“ in Salzburg war dieses Jahr der gefeierte Schauspieler Philipp Hochmair („Der Wien-Krimi: Blind ermittelt“) - ein Triumph. Das alte anstrengende Theaterstück wurde gekonnt in die Jetztzeit geholt.
2024 war der „Brat Girl Summer“ - und der hat eine Farbe: leuchtend Grün, die Farbe des Albumcovers „Brat“ (deutsch: Göre) der britischen Sängerin Charli XCX. In ihrem Song „360“ heißt es: „If you love it, if you hate it, I don't fucking care what you think.“ (übersetzt: Ob du es liebst oder hasst, mir doch egal). Machen, was man will, egal, was andere denken - das ist die Idee hinter dem ausgerufenen „Gören-Sommer“. Eine Art Gegentrend zur top gestylten, nie übertriebenen „Clean-Girl-Ästhetik“ der vergangenen Jahre.
Die Generation Z hat angeblich Männer, die wie Nagetiere aussehen, diesen Sommer als Sexsymbol entdeckt. Sie sollen ein Gegenentwurf zu toxischer Männlichkeit sein: markante Gesichtszüge, spitze Nase, auffällige Zähne. Die Vorzeigetypen: Mike Faist, Josh O’Connor, Jeremy Allen White, Timothée Chalamet, Barry Keoghan, Harry Styles und und und.
Die Deutschen als Organisations- und Gründlichkeitsweltmeister? Die Reputation ist dahin. Internationale Medien stellten Deutschland während der Fußball-EM als Land mit Chaos-Bahn und wenig Kundenfreundlichkeit sowie oft schlechtem Internet und mangelhaftem Netzausbau vor. Zur angeblichen deutschen Effizienz schrieb ein Reporter der „New York Times“: „Vergessen Sie alles, was Sie meinten zu wissen.“ Peinlich.
Es war Deutschlands erster Sommer mit dem neuen Cannabis-Gesetz (seit 1. April sind Besitz und Anbau von Cannabis für Volljährige mit einigen Vorgaben für den Eigenkonsum erlaubt). In vielen Lokalen hing nun „Cannabis rauchen verboten“.
Donald Trumps Running Mate JD Vance nannte einst seine demokratische Gegenspielerin Kamala Harris und deren Parteikolleginnen „a bunch of childless cat ladies“ (ein Haufen kinderloser Katzendamen). Abwertend für seltsame Person gemeint, geht diese Denke womöglich nach hinten los, denn Tierliebe gilt heute vielen als Tierschutz und Menschlichkeit - und moderner als Vances Weltbild.
Ein Video des französischen Stabhochspringers Anthony Ammirati ging während Olympia viral, weil es so aussah, als habe er beim Stabhochsprung die Latte mit seinem großen Glied gerissen. Ein Fall weltweiten Penisneids.
Deutschlands drittgrößte Stadt mit der klaren Isar und dem Englischen Garten war diesen Sommer eine Art „place to be“ mit den Mega-Konzerten von Taylor Swift und Coldplay und natürlich der Spezialkonzertreihe von Adele.
Wochenlang schwer zu kriegen, war das von Ferrero zum 60. Geburtstag der Nuss-Nougat-Creme auf den Markt gebrachte „Nutella Eis“ im Becher für Naschkatzen wohl das Sommerprodukt des Jahres.
Reinhold Messner (79) wundert sich, dass Leute in der Innenstadt Outdoor-Klamotten tragen. „Die Menschen in der Fußgängerzone sind angezogen, als wollten sie den nächsten Tag zum Everest steigen“, sagte die Bergsteiger-Legende der Deutschen Presse-Agentur. Er trage selbst viel Funktionskleidung - aber aus praktischen Gründen, nicht aus modischen Erwägungen.
Wie zugrunde gerichtet ist Deutschland? Die Entschuldigung, dass dieses oder jenes wegen Personalmangels nicht gehe, las man diesen Sommer sehr, sehr oft - etwa auch in Gaststätten, die noch nicht dem Restaurantsterben anheimgefallen sind.
Das Coming-out von Ralf Schumacher - oder auch nur die Mitteilung am 14. Juli, dass er mit einem Mann zusammen ist - artete in eine mediale Schlammschlacht mit Ex-Frau Cora aus.
Das pinkfarbene Auswärtstrikot der deutschen Mannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft wurde zu einem Verkaufsschlager für Adidas.
Mode im Sommer 2024, das hieß zum Beispiel: weiße hochgezogene Socken statt Sneakersocks oder Füßlinge, und das dann etwa auch in Birkenstocks; außerdem sind jetzt Shorts sozusagen überall erlaubt und das simple weiße T-Shirt (nicht zu eng) ist ein Must-have. Und: Die Sonnenbrille tragen Coole im Nacken oder am Hinterkopf statt im Haar, wenn sie nicht auf der Nase sitzt.
Der Begriff (von arabisch Tahal lahon (Komm her)) ist als Jugendwort des Jahres nominiert. Er bezeichnet junge Männer mit Migrationshintergrund, die Trainingshose und Kettchen tragen, gefälschte Markenklamotten und Bauchtasche und die gern machomäßig rumprollen. Ein Phänomen zwischen Rassismus, Ressentiment und Selbstironie. „Verknallt in einen Talahon“ von Butterbro gilt zudem als erster KI-generierte Song in den deutschen Charts.
In Spanien kam es zu aufsehenerregenden Protesten gegen Massentourismus. Viele Einheimische sind empört wegen höherer Wohnkosten, Umweltbelastung, Staus, allgemeiner Überfüllung. Ärgernisse sind auch Wassermangel oder dass die Müllabfuhr überlastet ist.
„Die Regenbogen-Flagge sollte ursprünglich alle miteinbeziehen, aber mittlerweile kommt so viel diverse Symbolik dazu, dass man manchmal kaum noch den Regenbogen sieht“, sagte Comic-Zeichner und Schwulen-Ikone Ralf König in einem „NOZ“-Interview. „Dann wird’s kompliziert, und Flaggen sollten nicht kompliziert sein.“
Gegrillt, als Sandwich, als Salat mit Feta, als Geschmack von Zahnpasta, als Parfümduft und sehr umstritten als Zeichen der Solidarität mit Palästinensern (wegen der Farben): Die Wassermelone ist ein Trendobst.
Diskussionen über höhere Testosteronspiegel bei Frauen münden oft in trans- oder interfeindliche Äußerungen - bei Olympia war das rund um Boxstar Imane Khelif zu beobachten. In Deutschland können transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen seit 1. August im Standesamt anmelden, dass sie Geschlechtseintrag und Vornamen nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz (ab 1.11. in Kraft) ändern möchten. Sie müssen dann drei Monate warten, bis sie ihre Erklärung abgeben können. Das reicht dann aus. Bislang waren eine Gerichtsentscheidung und zwei Sachverständigengutachten nötig.
Der Berliner Star-Gastronom The Duc Ngo möchte keine Gäste mehr in seinen Restaurants, die aufdringlich riechen. „Ich mag ja auch schöne Düfte, aber manchmal ist es einfach zu viel des Guten“, verkündete er im Internet „Deswegen bitte ich um Rücksicht auf uns Köche und die anderen Gäste und reduziert euer Parfum, wenn ihr zu uns kommt. Danke.“ Braucht es öfter ein Parfümverbot oder zumindest einen Duft-Dresscode hierzulande?
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