Sie hat die ganze Nacht gearbeitet. Im Trainingsanzug sitzt die Mode-Influencerin mit markantem pinkfarbenen Bob-Schnitt an einem Holztisch, der Blick in den Laptop vertieft, Stift in der Hand, aufgeschlagene Zeitschriften und ein Blatt Papier vor ihr. „Ich habe süßes Zeug skizziert. Erzählt niemandem, dass ich nicht geduscht habe“, kommentiert die Japanerin namens „imma“ das Foto in ihrem Instagram-Kanal. Was das Foto jedoch nicht verrät: imma ist gar kein echter Mensch.
Dass imma nur eine virtuelle Erscheinung ist, ist auf vielen ihrer Bilder für das bloße Auge kaum erkennbar. Wenn man sie aber in ihren Kurzvideos in Bewegung sieht, erkennt man klar, dass sie am Computerbildschirm entstanden ist. Nach Angaben des Unternehmens Aww Inc., das imma entwickelt hat, ist sie Japans erstes virtuelles Model. Auch in anderen Ländern, besonders im asiatischen Raum, sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von virtuellen Influencern entstanden. Wie ihre echten Vorbilder zieren sie die Cover von Modezeitschriften, fungieren als Werbeträger und manche spielen sogar Konzerte vor Tausenden Zuschauern.
Damit die optische Illusion um imma perfekt wird, teilt sie in den sozialen Medien regelmäßig Fotos, die sie mit echten Menschen zeigen. So etwa mit dem spanischen Cartoonisten Joan Cornella bei seiner Ausstellungs-Eröffnung in Tokio oder mit dem DJ Steve Aoki und dem Reggaeton-Star Maluma. Aber imma zeigt ihren Followern nicht nur ihr Jetset-Leben zwischen Modemetropolen und Weltprominenz, sondern auch ihre Gefühle. „Seit ich geboren wurde, habe ich es immer gehasst, einsam zu sein“, kommentiert sie etwa ein Foto von sich mit traurigem Blick, übergroßem Kapuzenpullover und schwarzem Regenschirm in der Hand. „Was tust du, wenn du einsam bist?“ In einem anderen Post erzählt sie von einem Streit mit ihrem Bruder.
Mit dieser Art von emotionaler Ansprache gehen die Macher von imma deutlich über das Virtuelle hinaus. Sie bauen eine persönliche Bindung zum Betrachter auf, indem sie ihre Figur bewusst als verletzlich darstellen. Das scheint gut anzukommen, denn auch wenn imma klar als künstliche Figur zu identifizieren ist, folgen ihr mehr als 400.000 Nutzer bei Instagram. Angesprochen auf die offensichtliche Künstlichkeit von immas Gefühlswelt, sagen ihre Schöpfer auf dpa-Nachfrage, dass ja auch echten Influencern oft vorgeworfen werde, ein unechtes Leben im Internet zu inszenieren. Letztentlich finde das Leben der Menschen so sehr im digitalen Raum statt, dass die Grenze zur Realität ständig verschwimme, heißt es aus dem Unternehmen weiter. „Alles, was wir online und in den Medien sehen, ist eine Erzählung und es ist jedermanns eigene Entscheidung, ob er es glaubt oder nicht.“
Das große Problem an dieser Form der emotionalen Ansprache durch künstlich erschaffene Wesen sieht der Medienexperte Oliver Zöllner vom Stuttgarter Institut für Digitale Ethik in der fehlenden Transparenz der zum Einsatz kommenden Programme. Nicht jeder Mensch könne sofort erkennen, dass es sich bei virtuellen Influencern nicht um reale Menschen handelt, sagt Zöllner auf Nachfrage der dpa. Und er fügt hinzu: „Auch die dahinterstehenden Geschäftsmodelle der Datengewinnung und -ausbeutung sind nicht jeder Person bekannt.“ Zöllner spricht von einer Form der Ausbeutung, die tief in den menschlichen Wesenskern eingreife.
Gesteuert werden die virtuellen Influencer in der Regel von menschlichen Teams im Hintergrund, wie es auf der Internetseite virtualhumans.org" class="auto-detected-link" target="_blank">virtualhumans.org heißt, die nach eigenen Angaben von Brancheninsidern betrieben wird. imma zum Beispiel wird in einem Studio, unter anderem mit Schauspielern und mittels Bewegungs-Erfassung (Motion Capture) zum Leben erweckt. Bei manchen Influencern ist aber tatsächlich Künstliche Intelligenz im Spiel, so etwa bei Kuki Ai, die sich auf ihrer Internetseite mittels eines Chatroboters mit ihren Fans unterhalten kann. In den sozialen Medien hingegen muss Kuki laut virtualhumans.org" class="auto-detected-link" target="_blank">virtualhumans.org immer noch von echten Menschen gesteuert werden.
Aber virtuelle Influencer können nicht nur Gefühle, sondern auch Haltung. Lil Miquela etwa, die als eine der reichweitenstärksten virtuellen Influencer gilt, ist nicht nur erfolgreich als Musikerin und Werbegesicht großer Modefirmen, sondern auch als Aktivistin. In ihrem Instagram-Profil zeigt sie den Hashtag „#BlackLivesMatter“. In einem Post zeigt sich die ewig 19-Jährige ihren rund 2,8 Millionen Followern mit kayalgefärbten Tränen, die über ihr Gesicht laufen, daneben der Satz: „Für die Normalisierung von hässlichem Weinen in der Öffentlichkeit.“ Wie authentisch das auf ihre Fans wirkt, ist unklar. Das Time-Magazine jedenfalls wählte die Influencerin mit dem Pony-Schnitt und der markanten Zahnlücke im Jahr 2018 zu den 25 einflussreichsten Menschen im Internet - neben solchen Namen wie Donald Trump und Rihanna.
Fest steht auch, dass imma, Lil Miquela und Co. für Unternehmen einen unschlagbaren Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern aus Fleisch und Blut haben: Sie haben keine unberechenbaren menschlichen Launen und sind kostengünstiger. „Aber als Mensch hat man sie auch schnell durchschaut, wenn man sich ein bisschen mit ihnen beschäftigt. Und sie werden wahrscheinlich schnell langweilig“, fügt Oliver Zöllner hinzu.
Mit Blick in die Zukunft deutet sich laut Zöllner an, dass die Menschen von Tech-Unternehmen immer weiter in virtuelle Räume eingeladen werden, „in denen wir auf vielfältige Art und Weise miteinander und auch mit virtuellen Figuren interagieren sollen“. Es liege an den Menschen selbst, aus solchen technischen Möglichkeiten etwas zu schaffen, das für die Gesellschaft dienlich ist.
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