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Veröffentlicht am 18.11.2025 07:00

Vor Gewalt und Drogen nach Ansbach geflohen: Eine Mutter kämpft für ihre Familie

Mit ihren drei Söhnen und ein paar flüchtig gepackten Taschen kam Joyce Neupert (Name von der Redaktion geändert) im Juni nach Ansbach. Sie hat davor noch nie etwas von der Stadt gehört. „Wir wussten nicht, wo wir hin kommen”, erzählt sie. Aber das war auch egal. Alles was zählte, war wegzukommen.

„Es war die erste Nacht, in der wir mal wieder durchgeschlafen haben – seit drei Wochen”, erinnert sich Joyce Neupert. Oft haben sie sich in den vergangenen Monaten versteckt, sind aufgeschreckt oder konnten vor Angst nicht schlafen. Die vier flohen vor Gewalt, Erniedrigung und Drogen. Sie flohen vor ihrem Mann und Vater.

Seit mehreren Jahren wurde Joyce Neuperts Partner immer wieder gewalttätig. Die beiden waren seit über zehn Jahren verheiratet. Er trank immer mehr, harte Drogen kamen dazu – und die Wut. „Auch wenn ich einen Feind hätte – ich hätte ihn niemals so kaputt gemacht”, beschreibt Joyce Neupert die Qualen, die sie durchgestanden hat. Sie kümmerte sich um das Haus, die Kinder und versuchte alles zusammenzuhalten, trotz Blutergüssen und Narben. Doch die Gewalt wurde immer schlimmer.

30 Minuten Zeit fürs Packen

Joyce Neupert erinnert sich an viele Details. Die letzten Minuten in ihrem Einfamilienhaus und die Fahrt danach scheinen sich in ihr Gehirn eingebrannt zu haben. Am Abend vorher gab es wieder einen Streit. Doch eine Sache war diesmal anders. Die Kinder bekamen alles mit. Das war zu viel. „So etwas sollen sie nicht erleben”, sagt Joyce Neupert. Sie fasste den Entschluss: Wir müssen hier weg.

Eine halbe Stunde hatte sie Zeit, um die wichtigsten Dinge zu packen. Sie schmiss alles in Säcke, packte diese und ihre Kinder in den Wagen. Dann fuhren sie los. Erst auf der Autobahn erfuhr die Familie, wo es hingeht. Zwei Söhne sind im Grundschulalter, der älteste ist Teenager. Die Familie zog in ein Zimmer im Frauenhaus.

Ein kleiner Lichtblick war bei der Ankunft ein Glas Nutella, das sich die Familie neben anderen Lebensmitteln aus einem Regal nehmen durfte. Daran erinnert sich Joyce Neupert noch. Dann kam die Erschöpfung – endlich konnten sie in Sicherheit schlafen.

Dank Spenden erste Möbel angeschafft

Für einige Wochen blieben sie in dem kleinen Zimmer, dann wechselten sie in ein Apartment. Schon kurz nach dem Umzug mussten alle drei Kinder wieder in die Schule. Fremder Ort, fremde Betten, fremde Schule.

Hoffnung kam auf, als sie im August Aussicht auf eine Vier-Zimmer-Wohnung in der Umgebung hatten. Und tatsächlich: Joyce Neupert bekam die Zusage. Schon im September konnten die vier einziehen. So sehr sie sich über diese Nachricht freuten – es blieb eine große Sorge: Wie soll die 37-Jährige die neue Einrichtung bezahlen? Für die Familie besonders wichtig: eine Küche. Die Jungs lieben das selbst gekochte Essen ihrer Mutter.

Joyce Neupert konnte ein bisschen aufatmen: Ein Auszug aus dem Frauenhaus wird mit den Spenden aus der Aktion „FLZ-Leser helfen” finanziell unterstützt. Mit diesem Geld konnte sie zumindest einige Dinge anschaffen.

Familienzeit jeden Freitagabend

Die 37-Jährige ging auf Schnäppchenjagd, klapperte viele Gebrauchtwarenhöfe ab. Sie fand Betten für ihre beiden jüngeren Söhne und Kleiderschränke. An einem Vormittag beobachtete sie, wie eine weiße Einbauküche aus einem Lkw ausgeladen wurde. Noch bevor die Küche im Laden stand, sicherte Joyce Neupert sie sich.

Gearbeitet hat die dreifache Mutter bisher in der Pflege. Derzeit ist sie im Krankenstand, doch sie sagt: „Ich würde mich freuen, wenn ich hier auch so etwas finde.” Aktuell hat sie jedoch andere Sorgen. Sie selbst schläft noch auf der Couch, auch der älteste Sohn hat noch kein Bett. Weiterhin muss sie jeden Euro umdrehen. „Ich habe noch eine lange Liste”, erzählt sie. Von welchem Geld sie Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder kaufen soll, weiß sie nicht.

Aktuell gibt sie jeden Tag alles für ihre Söhne. Sie sucht neue Fußballvereine, macht mit ihnen Hausaufgaben. Neben dem Alltag haben alle schwer zu tragen an der Vergangenheit.

Joyce Neupert und ihre Söhne halten sich an den kleinen Routinen fest. Jeden Freitag haben sie ein Familien-Date. Da werden Geschichten vorgelesen und Gedanken geteilt. So hangeln sich die vier von Woche zu Woche – in ihr neues Leben.

Dank des Startkapitals konnte gleich zum Einzug eine Küche angeschafft werden. (Foto: Antonia Müller)
Dank des Startkapitals konnte gleich zum Einzug eine Küche angeschafft werden. (Foto: Antonia Müller)
Dank des Startkapitals konnte gleich zum Einzug eine Küche angeschafft werden. (Foto: Antonia Müller)

Antonia Müller
Antonia Müller
Redakteurin in der Lokalredaktion Ansbach
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