Nach der Weltpremiere von „Hercules“ in Hamburg zeigte sich, dass das Musicals auch viele Familien mit Kindern anzieht. Ebenso in den Aufführungen von „Eiskönigin“ und „König der Löwen“ sitzen recht häufig kleine Mädchen in Elsa-Kleidern oder kleine Jungs mit Simba-Stofftieren gebannt in ihren Stühlen.
Aber ab welchem Alter sind die Themen in diesen Musicals denn überhaupt geeignet für Kinder? Und wie bereitet man die Kinder am besten auf das, was da kommt, vor?
Offiziell dürfen Kinder bereits ab einem Alter von drei Jahren in Disney-Musicals gehen. Stephan Jaekel von Stage Entertainment berichtet, dass man nur äußerst selten Kinder tatsächlich abweisen müsse, da sich Eltern und Erziehungsberechtigte normalerweise an diese Vorgabe hielten.
„Aber natürlich erleben wir es manchmal, dass Eltern etwa beim König der Löwen tatsächlich mit ihren Kindern rausgehen müssen, weil das Kind nicht zu beruhigen ist und fragt: „Ist der Papa wirklich tot?““, erklärt Jaekel. Man habe dann zwar den Zeichentrickfilm vorher gemeinsam geschaut, aber Theater habe nun einmal eine noch viel unmittelbarere Berührungsebene.
Daher rät Jaekel, sich im Vorhinein Gedanken zu folgenden Fragen zu machen: Ist mein Kind überhaupt so lange aufnahmefähig? Kann mein Kind so lange stillsitzen und sich so benehmen, dass andere Gäste sich nicht gestört fühlen? Welche Reaktionen während der Show sind möglich? Was macht das Gesehene langfristig mit meinem Kind? Dies könne je nach Kind auch bei gleichem Alter höchst unterschiedlich ausfallen.
Generell seien die Disney-Musicals jedoch so inszeniert, dass man keine unnötige Brutalität auf der Bühne zeigte. Der Tod von Simbas Vater Mufasa im Musical König der Löwen werde beispielsweise mit einer gewissen Poesie dargestellt, so Jaekel.
„Er fällt rückwärts von einem Seil getragen in den Graben, aber dann liegt er ganz ruhig am Boden - ohne, dass man Blut oder dergleichen sieht. Daraufhin wird er durch einen Bühnenlift sanft nach oben gehoben, wo er dann zeremoniell von den Löwinnen betrauert wird“, beschreibt der Kommunikationsdirektor. Das sei für ihn eine behutsam gesetzte Todesszene. Diese Darstellungsform abstrahiere den Tod ein Stück weit und entbrutalisiere ihn.
Auch beim neuen Musical „Hercules“ kämpft der Titelheld zwar gegen Monster, aber auch hier wird das Blut nicht drastisch, sondern durch rote Tücher dargestellt, die erscheinen, wenn die Köpfe der Hydra abgeschlagen werden. Zusätzlich hilft es Kindern, dass es bei den Bösewichten auch oft etwas zu lachen gibt und das Grauen somit aufgeheitert wird. Sei es, dass sich die Bösewichte untereinander ärgern und lächerlich machen oder dass sie wie der böse Hades bei „Hercules“ merkwürdig aussehen und eine ungewöhnliche Schwachstelle haben.
Auch die Hyänen beim „König der Löwen“ dienen der Erheiterung für die Kinder. Eine von ihnen wird so minderbemittelt dargestellt, dass sie gar nicht versteht, was da Böses um sie herum geschieht: „Das ist der Teil, wo die Erwachsenen manchmal aussteigen“, erklärt Jaekel. „Diese eine Hyäne ist eben bewusst lächerlich dargestellt. Sie versteht gar nicht, was die anderen Bösen wollen. Das ist ein bisschen so wie der Willi bei der Biene Maja. Diese Hyäne wird mitgeschleppt und ist im Grunde überhaupt nicht böse. Darüber können die Kinder lachen und sind dann ein Stück weit weniger erschreckt.“
Die Pädagogin und Erziehungsberaterin Inke Hummel sagt, dass sie so einen Musical-Besuch generell eher erst für Kinder ab dem Vorschulalter empfiehlt, das heißt etwa vom Beginn des vierten Lebensjahres an. „Manche Kinder kommen etwas angstsensitiver auf die Welt, während andere so eine Darstellung von Gut und Böse besser wegstecken können“, so Hummel. Daher sollte man individuell auf sein Kind achten.
Außerdem sei es für die Kinder sehr hilfreich, wenn man sich im Vorhinein zuerst gemeinsam dem Thema des Musicals durch ein Buch annähern würde. Dies sei besser geeignet als ein Film. „Dadurch können die Kinder in einem langsamen Tempo in die Geschichte eintauchen und überhaupt erst einmal verstehen, wer genau die Akteure sind. Außerdem ist es beruhigend für Kinder, wenn sie dann bereits wissen, dass die Geschichte gut ausgehen wird“, so Hummel.
Auch die Musik gemeinsam hören, könne helfen, damit die Kinder möglichst viel Wissen hätten, an das sie andocken könnten, sodass während des Musicals nicht jeder Moment quasi etwas Neues sei.
Hummel erklärt, dass manche Kinder in diesen Musicals wahrscheinlich zum ersten Mal mit komplexeren und negativen Themen wie Ausgrenzung oder sogar Mord konfrontiert würden. „Wichtig ist, dass so ein Erlebnis von den Eltern begleitet wird und man viel darüber spricht. Gerade wenn das Kind vorher eher nur Bobo Siebenschläfer oder Wimmelbücher konsumiert hat“, so die selbstständige Familienbegleiterin auch Bonn.
Nach dem Musical-Besuch könne es sein, dass das Kind, das Erlebte erst einmal verarbeiten und einsortieren müsse. Bei manchen Kindern bedeute dies, dass man ein halbes Jahr lang immer wieder darüber sprechen müsse, da die Welt des Kindes danach schlicht eine andere sei.
Schließlich sollte man darauf vorbereitet sein, dass die Kinder bei gruseligen Szenen wahrscheinlich auf dem Schoß der Erwachsenen sitzen wollten und man zwischendurch vielleicht einiges erklären müsse, sagt Hummel. „Ich finde es wichtig, dass die Eltern nicht erwarten, dass ein Musical-Besuch mit kleinen Kindern so abläuft, wie er es mit Erwachsenen würde“, so die Pädagogin.
Man könne nicht damit rechnen, ein paar Stunden in Ruhe zuschauen zu können. „Vielleicht muss man auch kurz oder ganz rausgehen vor dem Ende des Stücks, da das Kind es nicht so lange aushält zu sitzen“, sensibilisiert Hummel. Da könne man auch nicht sagen: „Wir haben hier jetzt 200 Euro ausgegeben, wir sitzen das jetzt ab.“
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