Das Geburtshaus des erzgebirgischen Nussknackers liegt unscheinbar am Ortsrand des Spielzeugdorfs Seiffen. In der achten Generation führt Markus Füchtner den kleinen Betrieb, dessen Geschichte bis ins 18. Jahrhundert reicht. Wie schon seine Vorfahren steht der 44-Jährige an der Drechselbank und bearbeitet ein sich drehendes Kantholz mit verschiedenen Werkzeugen. Die Späne fliegen, ein neuer Nussknacker wird geboren.
Füchtners Ur-Ur-Ur-Großvater soll einst den erzgebirgischen Nussknacker erfunden haben, wie er heute in der Region von zahlreichen Kunsthandwerkern gefertigt wird und zu Weihnachten viele Stuben ziert. Mit den grimmigen Holzfiguren wurden vor allem Vertreter der Obrigkeit abgebildet - allen voran der König. „Zu Weihnachten wurde der Spieß herumgedreht nach dem Motto: Jetzt knackt ihr unsere Nüsse“, beschreibt Füchtner den Gedanken dahinter.
Füchtners Vorfahren waren Zimmerleute, die sommers auf dem Bau schufteten. Wenn dann über das Erzgebirge der Winter hereinbrach, griffen die Handwerker notgedrungen zu Schnitzmesser und Drechseleisen, um Geld für ihre Familien zu verdienen.
So erzählt es Füchtner und so ging es vielen in der Region: Es wurde geschnitzt, gedrechselt, gesägt und geklöppelt. Gepaart mit einer tiefen Frömmigkeit und dem Bergbau ist im Erzgebirge eine große Vielfalt an Brauchtum entstanden, die in der Weihnachtszeit ihren Höhepunkt hat und deren Faszination sich viele Besucher nicht entziehen können.
Vielerorts locken Drechsel- und Schnitzstuben. Doch das Kunsthandwerk, das im Frühjahr zum immateriellen Kulturerbe geadelt wurde, hat besonders in Seiffen sein Zentrum. In der Adventszeit bummeln die Besucher des beschaulichen Gebirgsorts nahe der Grenze zu Tschechien durch Geschäfte und halten Ausschau nach Geschenken und Dekorationen. Dank der Vielzahl an Werkstätten ist die Auswahl an Räuchermännern, Nussknackern, Schwibbögen, Pyramiden und Engelsfiguren groß.
Dabei können Besucher zusehen, wie die Holzkunst entsteht, etwa in der Schauwerkstatt der Seiffener Volkskunst. Hier verzieren Mitarbeiterinnen Nussknacker und Räuchermänner, Handwerker bearbeiten Holzstücke an der Drehbank. Wer der Hauptstraße zum Ortsrand folgt, kann im Freilichtmuseum eine besondere Technik des Kunsthandwerks erleben: das Reifendrehen.
In einem mit Wasserkraft betriebenen Drehwerk aus dem 18. Jahrhundert werden nasse Fichtenholzscheiben per Hand so bearbeitet, dass daraus Tierfiguren entstehen - welche genau, erkennt der Beobachter erst beim Aufspalten des Holzreifens.
Die Bräuche in diesem Landstrich gehen weit über das Kunsthandwerk hinaus. Wenn die Adventszeit beginnt, verwandeln sich die Orte in ein Lichtermeer. Viele Fenster sind mit Schwibbögen geschmückt, die in der Dunkelheit leuchten.
An zentralen Plätzen drehen sich Pyramiden, die mit verschiedenen Motiven verziert sind. Und etliche Weihnachtsmärkte versprühen abseits der großen Städte besonderen Charme. In Freiberg, Schneeberg, Marienberg und Annaberg-Buchholz ebenso wie in Schwarzenberg oder Zwönitz.
Eng verknüpft sind viele Bräuche mit dem Bergbau, der hier über Jahrhunderte betrieben wurde. Silberfunde entfachten im Mittelalter ein „Berggeschrey“, das für wirtschaftlichen Aufschwung und kulturellen Reichtum sorgte. Auch andere Rohstoffe wie Kobalt und Zinn, später Uran, wurden hier in harter Arbeit dem Fels abgetrotzt. Der Erzreichtum gab dem Mittelgebirge seinen Namen.
Mit einem herzlichen „Glück auf!“ begrüßt Gunnar Lenhard seine Gäste. Der 41-Jährige hat sich im schwarzen Habit der Bergleute gekleidet. Zunächst geht es in die Kaue, wo Gäste Helm und Umhang erhalten. Am Eingang des Markus-Röhling-Stolln in Annaberg-Buchholz wartet schon eine kleine Bahn, mit der die Fahrt 600 Meter in den Berg hinein beginnt.
Die Wagen ruckeln über die Schienen, ein kühler Luftzug lässt frösteln. Nach wenigen Minuten stoppt die Bahn und Lenhard führt in den ehemaligen Fördermaschinenraum unter Tage.
Von der Maschine selbst ist nichts mehr zu sehen, dafür hat sein Verein den Raum mit Kerzenleuchtern, Reisig und einem Weihnachtsbaum geschmückt. Denn hier unten im Besucherbergwerk halten sie einen alten bergmännischen Brauch wach: die Mettenschicht.
„Mettenschichten gibt es seit ungefähr 400 Jahren“, erläutert Lenhard. Dabei handelt es sich um die letzte Schicht der Bergleute vor Weihnachten, meist am 23. Dezember. Gearbeitet wurde dazu ausnahmsweise nur eine halbe Schicht, um danach mit einer Andacht das Weihnachtsfest nach Bergmannsart einzuläuten.
Mancherorts war auch vom „Zechenheiligabend“ die Rede, den die Bergleute abseits der Öffentlichkeit im Kollegenkreis feierten. Neben der Andacht gehörten dazu auch ein Dank der Belegschaft an den Steiger, ihrem Vorgesetzten, sowie ein Bergschmaus mit Essen und Umtrunk, sagt Lenhard.
Mit Einrichtung des Besucherbergwerks sei der Gedanke entstanden, diesen Brauch wieder aufleben zu lassen. Bis zu 80 Personen werden dazu an mehreren Terminen im Advent hier im Fels bei Kerzenschein bewirtet, dazu gibt es Musik. Die Brauchtumsfeiern, die auch andernorts angeboten werden, sind beliebt, so dass Interessenten schnell sein müssen. Im Röhling-Stolln etwa sind die diesjährigen Mettenschichten schon seit Jahresbeginn ausgebucht.
Doch auch Kurzentschlossene finden in der Region bergmännisches Brauchtum in der Adventszeit. Rund ein Dutzend Bergparaden listet der Kalender des Landesverbandes der Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine auf.
Dabei ziehen Hunderte Teilnehmer im traditionellen Habit und begleitet von Musikkapellen durch die Städte und erinnern an die Bergbautradition in Sachsen. Die Paraden sind nicht nur immaterielles Kulturerbe, sondern locken alljährlich Zehntausende Schaulustige an.
In der Werkstatt von Markus Füchtner werden derweil weitere Nussknacker von Hand verziert, um Bestellungen abzuarbeiten. Sein Kunsthandwerk ist bis nach Übersee gefragt, etwa in den USA. Ein kleiner Nussknacker ist sogar noch weiter gereist: „Wilhelm“ war schon Gast auf der Raumstation ISS. Von dort ist er längst zurückgekehrt - um Weihnachten im Erzgebirge zu feiern.
Reiseziel und Anreise: Der Kurort Seiffen im Erzgebirge liegt anderthalb Autostunden südwestlich von Dresden. Mit Bus und Bahn (mehrmals umsteigen) ist Seiffen von Sachsens Hauptstadt aus in etwa zwei Stunden erreicht.
Kirchen: Im Erzgebirge gibt es beeindruckende Kirchen und Zeugnisse tiefer Frömmigkeit. Die St. Wolfgangkirche in Schneeberg beherbergt einen Altar aus der Werkstatt von Lucas Cranach. Die St. Annenkirche in Annaberg-Buchholz ist bekannt für ihren Bergaltar und ihr Schlingrippengewölbe.
Weihnachtliches: Adventskränze und Grußkarten basteln, Duftkerzen herstellen oder selbst drechseln und schnitzen - dazu lädt der „Maker-Advent“ an gut 40 Orten in der Region. Er ist ein Projekt von Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas 2025 und wurde mit dem Deutschen Tourismuspreis ausgezeichnet.
Abschalten: Wer eine Auszeit braucht, findet in einem der Thermalbäder Entspannung - etwa im Radonheilbad Actinon in Bad Schlema oder im Thermalwasserbecken in Wiesenbad. Für Familien locken Spaßbäder in Geyer und Marienberg.
Weitere Informationen: sachsen-tourismus.de
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