Es ist eine wagemutige Tradition, zudem nicht erlaubt, aber: Seit vielen Jahrzehnten klettern Studierende der Universität in Cambridge nachts auf die Sehenswürdigkeiten der Stadt.
Erklommen werden die Jahrhunderte alten Gebäude an Regenrohren, Hausvorsprüngen und steinernen Figuren. „Du genießt das Gefühl von Risiko, das Adrenalin, und wenn du es nach oben geschafft hast, die Erleichterung“, sagte Rebecca Wetten (30), die in Cambridge Geschichte studiert hat.
Die riskante Tradition sorgt immer wieder für ungewöhnliche Bilder und Einträge in sozialen Medien am nächsten Morgen: Klositze, Weihnachtsmützen und sogar ein Auto ließen Kletterer bereits auf den Türmen und Dächern der englischen Eliteuniversität zurück.
Wegen der Gefahr, entdeckt zu werden, wird fast ausschließlich im Dunkeln der Nacht geklettert, wie ein ehemaliges Mitglied des britischen Parlaments berichtet: „Wir kamen nach Hause, schliefen ein paar Stunden und lernten wieder für die Uni.“ Der heute 78-jährige Politiker möchte aus Angst vor legalen Folgen nicht namentlich genannt werden.
Inspiration für viele jüngere Generationen an Nachtkletterern ist ein erstmals 1937 unter einem Pseudonym erschienenes Buch. Es beschreibt Kletterrouten auf die verschiedenen Gebäude der Stadt Cambridge.
Auch Tom Whipple (41), heute Redakteur bei einer überregionalen Tageszeitung, trieben die in dem Buch beschriebenen Abenteuer an: „Da war ein Gefühl von historischer Kontinuität zu Studierenden, die dann Richter und Politiker wurden oder sogar Kletterpioniere.“
Diese Kontinuität besteht bis heute, so brachte der ehemalige Politiker 1965 zusammen mit Freunden ein großes Banner an den Türmen eines zentral gelegenen Gebäudes an, um gegen den Vietnam-Krieg zu demonstrieren. Auch 2022 befestigten Nachtkletterer erneut eine politisch motivierte Nachricht an den Türmen des Kings College - dieses Mal ging es um den Krieg in der Ukraine, wie auf Twitter zu sehen war.
Das Klettern ist offiziell nicht erlaubt, und die Polizei berichtet auf Nachfrage, dass es gelegentlich zu Zwischenfällen mit Nachtkletterern komme. Wenn es sich dabei um Studierende der Universität handle, sei es allerdings kein Hausfriedensbruch, und der Vorfall werde intern geregelt.
Auch Whipple wurde einmal festgenommen, nachdem er auf das Rathaus geklettert war. Ernsthafte Folgen hatte das für ihn nach eigenen Angaben allerdings nicht.
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