Kaum eine technologische Entwicklung verändert den Arbeitsmarkt so schnell wie die Künstliche Intelligenz (KI). Unternehmen versprechen sich davon einen Gewinn an Effizienz – und das könnte, so wird gemutmaßt, zulasten typischer Einstiegsjobs gehen. Tatsächlich ist vor allem für Hochschulabsolventen die Jobsuche derzeit oft mühsam und langwierig. Aber liegt das wirklich an KI?
In deutschen Unternehmen ist KI noch nicht so präsent, wie es manchmal den Eindruck hat. Laut einer im Oktober 2024 veröffentlichten Umfrage des Branchenverbands Bitkom unter rund 600 Unternehmen beschäftigt sich mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland mit KI, aber erst jedes fünfte nutzt entsprechende Technologien.
Sogenannte generative KI wie ChatGPT oder Google Gemini kam zum Zeitpunkt der Umfrage erst bei neun Prozent der Firmen zum Einsatz, und zwar vor allem im Kundenkontakt, im Marketing und in der Kommunikation, in Forschung und Entwicklung sowie innerhalb von Produktionsabläufen.
Die Anzahl der Nutzer wird aber voraussichtlich steigen: Weitere 37 Prozent der Unternehmen plant den Einsatz generativer KI oder kann ihn sich vorstellen. Besonders wichtig ist KI für Tech-Startups: 82 Prozent nutzen die Technologie, weitere 16 Prozent planen oder diskutieren dies laut Bitkom.
Antworten auf die Frage, welche Tätigkeiten in welchen Berufen jetzt schon automatisiert werden könnten, liefert zum Beispiel auch der Job-Futuromat, ein Online-Tool des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
KI verändert das Arbeitsleben, das ist unstrittig. Und manche Prognosen klingen dramatisch. Die Hälfte aller Einstiegsjobs im Bürobereich könne durch KI-Anwendungen in den nächsten fünf Jahren verloren gehen, sagte Dario Amodei, CEO des KI-Unternehmens Anthropic, unlängst in einem Interview.
Stellenmarktdaten scheinen die Vorhersage zu bestätigen. In den USA gibt es laut einer Studie des Job-Portals Indeed derzeit ein Drittel weniger Jobangebote für Junior-Stellen in der Tech-Branche als 2020. Und in Deutschland zählte die Karriereplattform Stepstone bei einer Analyse von Stellenanzeigen im ersten Quartal 2025 über alle Branchen hinweg 45 Prozent weniger Einstiegspositionen als im Durchschnitt der letzten fünf Jahre.
Die Zeiten sind also schwieriger geworden für Berufseinsteiger. „Aber bislang ist kein systematischer Zusammenhang zwischen KI und Einstellungschancen zu erkennen“, sagt Michael Stops, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAB der Bundesagentur für Arbeit.
Für den Rückgang bei den Neueinstellungen sei vor allem die schwächelnde Konjunktur verantwortlich: Es wird insgesamt weniger eingestellt und Job-Einsteiger bekommen mehr Konkurrenz durch Berufserfahrene, „die in solchen Phasen zu Zugeständnissen beim Gehalt bereit sind“.
Zugleich gibt es nach wie vor Branchen, in denen Fachkräfte händeringend gesucht werden. Laut der jüngsten Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit beispielsweise in Pflege- und Gesundheitsberufen oder in Bau- und Handwerksberufen.
„Es sind mehr Bewerbungen erforderlich als früher, um einen Treffer zu landen“, beobachtet Johannes Junker, Karriere-Coach in Berlin. Das habe unter anderem mit KI zu tun – allerdings weniger mit dem Wegfall bestimmter Tätigkeitsfelder als viel mehr mit der Tatsache, dass ChatGPT und Co. immer häufiger im Bewerbungsverfahren zum Einsatz kommen.
„Früher benötigte man für eine sehr gute Bewerbung einen Tag, heute kann man in derselben Zeit mit den Sprachmodellen mehr als zehn Bewerbungen mit relativ hoher Qualität generieren“, sagt Junker. Die Firmen bekommen sehr viel mehr Zuschriften und setzen ebenfalls KI-Tools ein, beispielsweise für eine automatische Vorauswahl nach bestimmten Kriterien. Mit seiner Bewerbung aus der Masse herauszustechen, ist deutlich schwieriger geworden.
Auch IAB-Experte Stops sagt: „Berufseinsteiger müssen derzeit davon ausgehen, dass die Suche länger dauert.“ Er empfiehlt Flexibilität beim Arbeitsort ebenso wie bei den Tätigkeitsfeldern: „Da lohnt sich oft der Blick über den Tellerrand.“
Die Qualifikationen von Berufseinsteigern für Wunschpositionen in einer bestimmten Branche ähneln sich. Wie also hebt man sich am besten ab von der Konkurrenz? „Indem man seine Motivation möglichst konkret darlegt“, empfiehlt Karriere-Coach Junker. „Warum will ich bei genau dieser Firma, in genau dieser Abteilung an genau diesem Projekt mitarbeiten?“ Hervorheben sollte man - wenn vorhanden - vorherige Tätigkeiten und messbare Erfolge, die für die Position tatsächlich relevant sind.
Und wie wichtig ist es, dass man bereits KI-Fertigkeiten mitbringt? Michael Stops hält eher die innere Einstellung für entscheidend: „Offenheit und Lernbereitschaft sollte man mitbringen – auch für künftige neue Technologien im angestrebten Berufsfeld.“ Im Berufsalltag wird es sehr viel mehr als bislang erforderlich sein, sich laufend weiterzubilden.
KI wird zunehmend Routineaufgaben übernehmen. Die auf diese Weise erzeugten Informationen bewerten zu können, „wird als Skill extrem wichtig“, sagt Johannes Junker. Der Karriere-Coach ist überzeugt: „Wer sehr gut ist in seinem Job, wird auch weiter Beschäftigung haben.“ Mittelmaß hingegen reiche künftig möglicherweise nicht mehr aus.
Umso entscheidender sei bei der Berufswahl der Faktor Motivation: „Man sollte sich kritisch fragen, bei welchen Themen man tatsächlich bereit ist, sich die entsprechende Expertise zu erarbeiten“, so Junker.
Dass Berufsfelder durch KI vollständig verschwinden, sei nicht absehbar, sagt IAB-Experte Stops. „Aber es wird erforderlich sein, dass man mit der Technologie arbeiten kann.“ Dazu gehöre ein Verständnis dafür, wie KI funktioniert und wo ihre Grenzen liegen, wie die von der KI produzierten Ergebnisse zu interpretieren sind und wie sich daraus kreative Lösungen entwickeln lassen.
Das erfordert nicht nur weiterhin Fachwissen, sondern ein hohes Maß an Kompetenzen, die gern unter dem Begriff Soft Skills zusammengefasst werden. Zum Beispiel die Fähigkeit, zu kommunizieren und zu kooperieren. Auszutarieren, welche Aufgaben die Maschine unterstützen oder übernehmen kann und welche beim Menschen besser aufgehoben sind. Dieser Prozess sei in vielen Unternehmen im Gange, sagt Stops.
Im besten Fall entlastet KI Beschäftigte von stupiden Routinetätigkeiten – Berufseinsteigern könnte das auch Chancen eröffnen. Nämlich die Möglichkeit, schneller zu verantwortungsvollen Aufgaben vorzudringen.
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