Extremisten haben nach Erkenntnissen des bayerischen Verfassungsschutzes auch 2024 versucht, Deutschland und Bayern politisch zu destabilisieren. „Extremisten aller Ausrichtungen ließen auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nichts unversucht, um unseren Staat und unsere Demokratie ins Wanken zu bringen“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in München bei der Vorstellung des Halbjahresberichts 2024. Flankiert werde die Bedrohungslage durch Desinformationskampagnen, Spionage und Sabotageaktionen.
Mitglieder der AfD suchen vermehrt den Kontakt zu Extremisten. „Die Vernetzung der AfD in das extremistische Vorfeld hat qualitativ und quantitativ zugenommen“, sagte Herrmann. Bayerns Verfassungsschutz beobachtet die AfD seit gut zwei Jahren, um aufzuklären, ob sie als Gesamtpartei von einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht wird. Der Beobachtungsauftrag umfasst nicht sämtliche Funktionäre und Mitglieder. Die AfD bewertet die Beobachtung als Versuch der Regierung, eine kritische Opposition zu diffamieren.
Auch die Partei der „Der Dritte Weg“ steht laut Herrmann im Fokus der Verfassungsschützer. Hier sei mit der „Nationalrevolutionären Jugend“ eine deutliche Verstärkung bei der Jugendarbeit unter anderem mit gemeinsamen Freizeit- und Sportaktivitäten, wie Kampfsporttrainings zu verzeichnen. „Ziel ist es, vor allem junge Männer an die Partei zu binden und schleichend ideologisch zu indoktrinieren.“
Die Sicherheitslage in Deutschland und Europa werde weiterhin durch den islamistischen Terrorismus bedroht – hier vor allem durch das Erstarken des afghanischen IS-Ablegers „Islamischer Staat – Provinz Khorasan (ISPK)“. „Propagandaorgane des ISPK rufen verstärkt zu Anschlägen auch in Europa auf. Im Fokus stehen dabei Großereignisse wie Konzerte oder Sportveranstaltungen, da hier hohe Opferzahlen drohen. Mehrere Drohbotschaften beispielsweise in Bezug auf die Allianz Arena belegen: Auch Bayern liegt im Zielspektrum.“
Aber nicht nur gewaltorientierte Dschihadisten stellten eine Bedrohung dar. „Auch legalistische Islamisten wie Muslim Interaktiv, deren Anhänger in Hamburg öffentlich für die Einführung eines Kalifats demonstriert haben, bedrohen unsere Demokratie. Mit ihren Hochglanzvideos und betont lässigen Art erreichen diese islamistischen Influencer Zehntausende“, sagte Herrmann. Durch Manipulation, Unterwanderung und Ideologisierung werde ein streng am islamischen Recht ausgerichteten Gottesstaat angestrebt.
Seit dem Angriff der Hamas auf israelische Siedlungen am 7. Oktober 2023 sei die Stimmung bei vielen propalästinensischen Demonstrationen deutlich aggressiver, so Herrmann. Noch sei dies in anderen Bundesländern aber ein größeres Problem als in Bayern.
„Trotz aller ideologischer Unterschiede ist der Hass auf Israel und jüdische Mitbürger der gemeinsame Nenner sowohl für propalästinensische Extremisten als auch für türkische Rechts- und Linksextremisten – letztere im Schulterschluss mit deutschen Linksextremisten“, sagte Herrmann. Auch die Anhänger der rechtsextremistischen „Ülkücü-Bewegung“ (Graue Wölfe) treten zunehmend selbstbewusst in der Öffentlichkeit auf. Die in Deutschland verbotene „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) sei ebenso nach wie vor aktiv.
Die Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene ist laut Herrmann auch in Bayern unverändert hoch. In erster Linie richte sich diese gegen tatsächliche oder auch nur vermeintliche Rechtsextremisten. Linksextremisten demonstrierten etwa wiederholt gegen Parteiveranstaltungen, Wahlkampfveranstaltungen und Infostände der AfD. Mit Sorge erfülle ihn, dass in der Szene zunehmend auch körperliche Angriffe auf AfD-Parteimitglieder, deren Angehörige sowie Sympathisanten legitimiert sei.
Seit Ende 2022 gebe es in Bayern vermehrt „realweltliche Aktivitäten“ des sogenannten „Königreich Deutschland“ (KRD) um ihren selbst ernannten „König“ Peter Fitzek. Diese stellten unter den Reichsbürgern und Selbstverwaltern eine der langlebigsten und bedeutendsten bundesweit auftretenden Gruppierungen dar und seien in Bayern vor allem in Mittelfranken, im nördlichen Oberbayern sowie in der Oberpfalz aktiv.
„Ganz aktuell ist es unserem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz gelungen, durch detaillierte technische Analysen wichtige neue Erkenntnisse über die Vorgehensweise der prorussischen Desinformationskampagne „Doppelgänger” zu gewinnen“, sagte Herrmann. Die 2022 aufgedeckte Kampagne versucht seit Beginn des Ukraine-Krieges mittels täuschend echt aussehender Online-Portale oder Webauftritte russische Narrative zu verbreiten, um durch Falschinformationen demokratische Werte infrage zu stellen.
Mit den nun vorliegenden Detailanalysen werde laut Herrmann deutlich, wie die Verantwortlichen Desinformation systematisch erstellen, international verteilen und sich dabei dynamisch der verändernden politischen Lage anpassen.
Die steigende Gefahr durch Spionage- und Sabotageakte sei aber nicht mehr nur auf den Cyberraum beschränkt. Das belege die Festnahme zweier mutmaßlicher prorussischer Spione und bereitwilliger „Handlanger“ russischer Akteure in Bayreuth. „Sollte sich bewahrheiten, dass hier auch Mordanschläge auf Vertreter deutscher Rüstungsunternehmen geplant wurden, wäre das aber eine völlig neue Stufe der Eskalation“, sagte Herrmann.
Im April sei den deutschen Sicherheitsbehörden – auch dank Ermittlungen des Verfassungsschutzes in Bayern – bundesweit der erste Schlag gegen die nigerianische Mafia gelungen. Bei deutschlandweit koordinierte Durchsuchungsmaßnahmen konnte die Polizei mehrere hochrangige Vertreter der sogenannten „Black Axe“ festnehmen. Dies ist eine von mehreren sogenannten Confraternities (Bruderschaften), die in ihrer Gesamtheit auch als nigerianische Mafia bezeichnet werden. Diese sei extrem gewaltbereit und befasse sich hauptsächlich mit Betrug, Geldwäsche, Prostitution, Menschen- und Rauschgifthandel.
© dpa-infocom, dpa:240812-930-200727/3