Ein Großteil der Lehrkräfte hält einen gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung unter den aktuellen Bedingungen nicht für umsetzbar. „Der Lehrkräftemangel ist der Hauptgrund, warum Kolleginnen und Kollegen sich gegen eine gemeinsame Unterrichtung aussprechen“, sagte die Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, unter Verweis auf eine repräsentative Forsa-Umfrage in München.
Grundsätzlich befürworten demnach im Freistaat inzwischen 61 Prozent der befragten Lehrkräfte inklusiven Unterricht - deutlich mehr als noch vor zehn Jahren. Dennoch halten ihn nur 26 Prozent derzeit für praktikabel. Dabei haben Kinder mit Einschränkungen durch die UN-Behindertenrechtskonvention ein Recht auf gemeinsamen Unterricht, sofern die Eltern nicht den Besuch eines spezialisierten Förderzentrums vorziehen.
Als Gründe für die mangelnde Umsetzbarkeit nannten die befragten Lehrkräfte neben dem fehlenden Personal und zu großen Klassen eine ungenügende materielle Ausstattung wie fehlende Aufzüge oder zu kleine Klassenzimmer. Auch könne die Regelschule die nötige individuelle Förderung nicht leisten. Und es hapere massiv an sonderpädagogischem Wissen, das bei vielen in der Ausbildung nicht vorkam.
Zudem zeigte die Umfrage, dass die Lehrkräfte in Bayern deutlich öfter als im bundesweiten Schnitt alleine mit der Herausforderung klarkommen müssen, auch Kinder mit Förderbedarf in ihrer Klasse zu unterrichten. Während deutschlandweit 67 Prozent der Befragten angaben, zumindest teilweise in Doppelbesetzung mit einer sonderpädagogischen Fachkraft zu arbeiten, waren es in Bayern nur 37 Prozent. Auch Unterstützung durch multiprofessionelle Teams etwa aus Sozialarbeitern oder Psychologinnen gibt es in Bayern deutlich seltener.
„Es mangelt an Zeit, es mangelt an Ressourcen, und es mangelt an den richtigen Strukturen“, schilderte BLLV-Expertin und Grundschulrektorin Sabine Bösl den Alltag an Bayerns Schulen. „Ich muss als Schulleiterin zur Kollegin sagen: Hier ist das Kind, du wirst das schon schaffen.“ Bösl betonte, dies werde weder den Ansprüchen der Lehrkraft, noch den anderen Kindern in der Klasse und erst recht nicht dem Kind mit Behinderung gerecht. „Es geht ja nicht nur um soziale Teilhabe, sondern um echte individuelle Förderung.“
Bösl bilanzierte daher: „Bayern hat sich auf den Weg gemacht im Bereich Inklusion, aber die Anstrengungen reichen bei weitem nicht aus.“ Als Beleg dafür könnte auch noch ein anderes Ergebnis aus der Umfrage dienen: Während im Bundesdurchschnitt mehr als die Hälfte der Lehrkräfte angaben, dass es an ihrer Schule bereits inklusive Lerngruppen gibt, betrug der Anteil in Bayern nur ein Drittel.
© dpa-infocom, dpa:250602-930-618979/2