Es geht um Schönheit, Wunder, um Geschwister, Natur, Sport, Luxus, um den Ozean und die Ukraine. Und immer auch um die Botschaft: „Dass Menschen mit Down-Syndrom klug sind.“ So beschreibt es Anna-Lisa Plettenberg, langjährige Autorin für das Magazin „Ohrenkuss“ bei einer Redaktionssitzung.
Das ist nicht irgendein Meeting. Der 25. Geburtstag des Magazins steht an, die Jubiläumsausgabe wird am 21. März veröffentlicht, am Welt-Down-Syndrom-Tag. Neun Team-Mitglieder sitzen in Bonn zusammen, sechs sind per Video zugeschaltet. Das 50. Heft befasst sich mit Freundschaft - und das Thema treibt alle um. „Was wir arbeiten, das ist auch Freundschaft. Das bedeutet echt: Ist mir wichtig“, betont Autor Julian Göpel.
Beim „Ohrenkuss“ haben alle Autorinnen und Autoren das Down-Syndrom. Ihre Texte werden eins zu eins veröffentlicht. Fehler in Grammatik oder Rechtschreibung werden nicht korrigiert. Sie sind kein Makel. Sie sind ein Gewinn. Manche diktieren ihre Beiträge, manche schreiben von Hand, andere am Computer. Angela Fritzen ist seit der allerersten Ausgabe an Bord. „Das erste Heft war über die Liebe. Es ist eine uralte Geschichte“, erinnert sie sich. Zwei Magazine pro Jahr kommen raus, an allen war sie beteiligt.
Das Jubiläumsheft haben 50 Korrespondenten und Korrespondentinnen verfasst. Die Beiträge für die Hefte kommen inzwischen aus zahlreichen europäischen Ländern und mitunter auch aus den USA, wie Initiatorin und Chefredakteurin Katja de Bragança schildert.
Was genau in der Geburtstagsausgabe drin steht, wird nicht verraten, aber eine kleine Kostprobe gibt es doch: „Freunschaft macht glücklich“, schreibt Manuel Müller im Heft. Johanna von Schönfeld - auch in der hybriden Redaktionsrunde vertreten - stellt darin fest: „Ohne meine Familie und ohne meine Freund gibt es mich nicht.“ Und Teresa Knopp sieht es so: „Freunde zu haben ist ein richtiger Goldschatz, den man nicht direkt finden kann.“
Durch die Redaktionskonferenz führt Anne Leichtfuß, Übersetzerin für Leichte Sprache. Sie und Katja de Bragança sind die einzigen am Tisch, die nicht das Down-Syndrom haben - auch Trisomie 21 genannt. Denn das Chromosom 21 liegt bei Betroffenen in aller Regel dreimal vor, statt zweimal. Und damit verfügt jede Zelle über 47 statt 46 Chromosomen. Wie viele Menschen das Down-Syndrom haben, wird nicht erhoben, erläutert Humangenetikerin de Bragança. Nach bisheriger Schätzung sind es um die 50.000 Personen, seit einiger Zeit kursiere auch die Zahl 40.000. Das Down-Syndrom geht mit unterschiedlich ausgeprägten Behinderungen einher.
Früher, als die Arbeit für den „Ohrenkuss“ begann, dachten viele noch, dass Menschen mit Down-Syndrom nicht lesen und schreiben könnten, berichtet Autorin Teresa Knopp. Diese falsche Vorstellung begegne ihr jetzt nicht mehr. Aber dass sie von Unbekannten manchmal geduzt werde, komme noch immer vor und ärgere sie. Es brauche mehr Infos über das Down-Syndrom, meint Teresa Knopp, die in einer Kita in der Küche arbeitet: „Kinder sind die Zukunft. Es wäre gut sie aufzuklären.“
Das Treffen vor dem Magazin-Geburtstag ist keine strenge Arbeitssitzung. Es kommen auch Probleme in der WG zur Sprache, Stress im Job. Der Krieg in der Ukraine geht vielen nahe. Yevhen Holubentsev ist vor den Bomben aus Kiew geflüchtet, dank Übersetzer-App kann er sich schon ein wenig ins „Ohrenkuss“-Team einbringen. Und die Pandemie fühlte sich für viele einsam an. „Euch kann man nicht vergessen“, ruft Johanna von Schönfeld in die Runde.
Diskutiert wird, ob man zumindest einen virtuellen Stammtisch hinbekommt. „Stammtisch auf dem Laptop gefällt mir“, meint Julian Göpel. Aber im Café wäre es auch schön, sagt Paul Spitzeck. Michael Häger - er ist Gründungsmitglied des „Ohrenkuss“ und hatte damals den Magazin-Titel erfunden - ist zum ersten mal seit Corona wieder in Präsenz dabei. Er vermisst viele andere Mitstreiter aus dem Team.
Teresa Knopp will auf jeden Fall beim „Ohrenkuss“ am Ball bleiben. „Es macht total viel Spaß mit euch, das zu schreiben - und dass ich einfach so sein kann wie ich bin.“ Für Natalie Dedreux, die im Bundestagswahlkampf 2017 in einer TV-Sendung mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel über Abtreibung gesprochen hatte, steht ihre weitere Mitarbeit ebenfalls fest. Es gehe ihr super dabei. „Es ist immer sehr cool.“
Die Texte zeugen von Kreativität und Einfühlvermögen, manche sind emotional, andere poetisch. Die Botschaften kommen originell, authentisch und direkt rüber. An Humor fehlt es keineswegs. So lässt Autor Paul Spitzer in der Jubiläumsausgabe wissen: „Ich habe eine gute Freundschaft mit meine Kaktus. Die heißt Kaki. Wir sind eng gefreundschaft. Wir brauchen nicht rede. Wir gucken uns an. Und jede zweite Woche hat sie Durst.“
© dpa-infocom, dpa:230320-99-18201/4