Wer etwa vom Straßenrand oder von einem Grundstück auf die Fahrbahn fahren will, muss eine gesteigerte Sorgfaltspflicht erfüllen. Das gilt aber auch für vergleichbare Fälle – etwa beim Anfahren nach einem Halt in zweiter Reihe. Wer sich nicht daran hält, muss nach einem Unfall mit Alleinhaftung rechnen. Das zeigt eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin (Az.: 22 U 29/24), auf das der ADAC hinweist.
In dem Fall hatte ein Mann mit seinem Auto auf einer Busspur in zweiter Reihe gehalten. Das an sich war schon verboten. Als er dann anfuhr, um diese Spur wieder zu verlassen, hatte er die Räder schon nach links eingeschlagen. Just in dem Moment kam ein anderer Autofahrer von der linken Spur. Er wollte über die Busspur fahren, um auf eine Spur für Rechtsabbieger zu kommen. Das war an dieser Stelle erlaubt. Dabei stießen beide Autos zusammen.
Der Spurwechsler verlangte vollen Schadenersatz. Einerseits hätte der Anfahrende gar nicht auf der Busspur stehen dürfen. Und wennschon, dann hätte er eine gesteigerte Sorgfaltspflicht beim Wiedereinfahren in den Fließverkehr gehabt. Denn die Lage sei vergleichbar mit dem Einfahren vom Fahrbahnrand. Außerdem wäre nicht erkennbar gewesen, dass der Mann losfahren wollte. Die Sache landete vor Gericht.
Eine Vorinstanz hatte beim Spurwechsler allerdings eine Mitschuld gesehen. Der Mann ging daher in Berufung - mit Erfolg.
Das Kammergericht war zwar überzeugt, dass kein Einfahren vom Fahrbahnrand nach der Straßenverkehrsordnung (StVO, Paragraf 10) vorgelegen habe, dieser Paragraf also nicht unmittelbar greife. Doch die Situation sei vergleichbar gewesen, weswegen sich die gesteigerte Sorgfaltspflicht aus dem Paragrafen 1 der StVO ergebe: Demnach hat sich, wer am Verkehr teilnimmt, so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird.
Außerdem hatte der Anfahrende den Busstreifen gar nicht benutzen dürfen. Beim Anfahren aus zweiter Reihe mit bevorstehendem Fahrstreifenwechsel habe ihn eine hohe Sorgfaltspflicht getroffen, so das Gericht. Den Kläger habe wiederum keine Mitschuld getroffen. Er habe nicht erkennen können, dass der spätere Unfallgegner plante, loszufahren. An besagter Stelle war es zudem erlaubt gewesen, die Busspur zu kreuzen. So musste die Versicherung des anfahrenden Unfallgegners voll zahlen.
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