Bis zur Rente zu warten, um endlich die Welt zu bereisen, den Halb-Marathon in Angriff zu nehmen oder Zeit für Hobbys zu haben? Gerade für jüngere Generationen passt diese Vorstellung nicht mehr ins Leben. Nicht verwunderlich ist da ein neuer Karrieretrend, der vor allem auf Plattformen wie Tiktok die Runde macht: Micro-Retirement - also einer Art kleiner Ruhestand auf Zeit. Was genau steckt dahinter?
„Micro-Retirement ist vereinfacht gesagt eine Art Karrierepause oder Arbeitspause“, erklärt Marlene Pöhlmann, Karriereexpertin beim Personaldienstleister Robert Half. Die Auszeiten werden typischerweise zwischen zwei Jobs genommen - allerdings nicht nur für zwei bis drei Wochen vor einer neuen Anstellung, sondern für mehrere Monate. Zeit genug also, um zu reisen, Familienzeit zu genießen oder sich neuen Hobbys zu widmen. „Anstatt den Ruhestand auf das Ende des Erwerbslebens zu legen, bauen die Arbeitnehmer Pausen bewusst in ihr Berufsleben ein“, so Pöhlmann.
Damit unterscheidet sich der Mikro-Ruhestand klar von einem klassischen Sabbatical, das in der Regel innerhalb eines Anstellungsverhältnisses mit dem Arbeitgeber abgesprochen wird. Oft verzichten Beschäftigte für ein Sabbatical über mehrere Jahre auf einen Teil ihres Gehalts und bekommen das Geld während ihrer Auszeit bezahlt.
Für Marlene Pöhlmann gibt es mehrere Gründe, warum Konzepte wie Micro-Retirement für die Gen Z wichtig sind. Zum einen priorisiere die Generation klar eine ausgeglichene Work-Life-Balance und lege Wert auf mentale Gesundheit und persönliche Erfüllung.
Zum anderen hat sich auch die Arbeitswelt gewandelt. Karrierepfade sind längst nicht mehr so starr wie sie es früher waren. „Gerade jüngere Arbeitnehmer haben am Ende ihrer Erwerbsbiografie oft zehn und mehr Arbeitgeber gehabt“, sagt Pöhlmann. Auch sei die Rente „für viele jüngere Arbeitnehmer erst einmal ein Versprechen, von dem sie nicht wissen, ob es jemals eingelöst wird.“ Viele beschäftigt auch das Gefühl, dass die besten Jahre bereits hinter ihnen liegen könnten, wenn sie endlich in Rente gehen.
Wie sich (wiederholte) Auszeiten zwischen zwei Jobs auf die Karriere auswirken, lässt sich nicht pauschal beantworten. Laut Pöhlmann gilt es einerseits diverse Risiken einzukalkulieren. Dass ein lückenloser Lebenslauf einen besseren Eindruck macht, sei in Deutschland immer noch Standard. Sie gibt auch zu bedenken, dass die diejenigen, die öfter in der Auszeit sind, mögliche Beförderungen verpassen könnten. Oft gelte noch das Prinzip: zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und „wer weniger da ist, wird auch weniger gesehen“.
Dem gegenüber steht, dass man mit einem Mini-Ruhestand Zeit in sich selbst und etwa die eigenen Soft Skills, die Anpassungsfähigkeit oder Kreativität investiert. Ob Auszeiten zwischen zwei Jobs die Karriere beeinflussen, hängt oft auch davon ab, wie gut die eigenen Ansprüche an die Work-Life-Balance mit denen der Branche oder spezifischer Arbeitgeber zusammenpassen.
Die Branche spielt ebenfalls eine Rolle. Laut Pöhlmann werden längere Auszeiten in traditionellen Branchen - zum Beispiel in der Finanzbranche, im juristischen Bereich oder im Ingenieurwesen - eher als negativ wahrgenommen. Anders kann es etwa in der IT-Branche aussehen - nicht zuletzt aufgrund des großen Fachkräftemangels. Auch in der Kreativbranche seien Auszeiten eher üblich.
Wer die Idee vom Mikro-Ruhestand attraktiv findet, sollte den Plan gut durchdenken. „Die große Anfangsfrage sollte lauten: Will ich das wirklich?“, sagt Pöhlmann. Denn daran schließen sich schnell andere Fragen an - allen voran: Kann ich mir das leisten? Wer seinen Job kündigt, braucht in der Regel Rücklagen. Auch sollte man frühzeitig klären, was eine Kündigung für eine persönliche Auszeit für die Kranken- oder Rentenversicherung bedeutet. In jedem Fall sinnvoll ist ein genauer Plan an, wie die Auszeit gestaltet werden sollte und wie es danach weitergeht.
© dpa-infocom, dpa:250213-930-374197/1