Durchsuchungen in Werkstätten und Wohnungen, Beschlagnahmungen, Schlagzeilen in den Fachmedien und am Ende eine Insolvenz – der Skandal um den Mercedes-Restaurator Kienle in Heimerdingen bei Stuttgart im Frühsommer 2023 hätte auch zum Drehbuch eines Fernsehkrimis getaugt. Kienle soll Flügeltürer gefälscht und mehrere Autos mit gleicher Fahrgestellnummer verkauft haben, so die Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, Kienle weist die Vorwürfe zurück.
Unabhängig von dem Fall gelte: Spätestens seit die Preise für manche Klassiker durch die Decke gegangen seien, nähmen auch die Fälschungen und Betrugsversuche zu, sagt Frank Wilke vom Marktbeobachter Classic Analytics in Bochum.
„Es gibt Oldtimer wie den Ferrari 250 GTO, den Porsche 911 RS 2.7 mit seinem Entenbürzel oder eben den Mercedes 300 SL, von denen sind heute mehr auf den Straßen, als damals je gebaut wurden“, sagt Sebastian Hoffmann. Und der weiß, wovon er spricht.
Hoffmann ist nicht nur Kfz-Gutachter in der Frankfurter Klassikstadt, sondern arbeitet für die Tüv-Tochter FSP auch als Automobilforensiker. Er schaut Oldtimern mit wissenschaftlichen Methoden wie bei der Spurensicherung der Polizei unters Blech, um deren Echtheit zu bestimmen.
Solche Gutachten, die es auch bei den Klassikabteilungen von Herstellern wie Porsche, Mercedes oder Ferrari gibt, sind kein Schnäppchen und kosten schnell einen fünfstelligen Betrag. Aber erstens ist das bei Millionenwerten gut investiertes Geld, sagt Hoffmann. Und zweitens muss es ja nicht immer gleich eine Röntgenaufnahme des Rahmens sein, eine magneto-optische Untersuchung von Metallen oder eine Spektralanalyse des Lacks.
„Oft bestätigen schon eine Plausibilitätsprüfung und ein Dokumentencheck für wenige hundert oder tausend Euro die Echtheit“, sagt der Forensiker. „Und das lohnt sich dann auch bei Sammlerfahrzeugen und Liebhaberstücken aus bürgerlichen Preisregionen.“ Erst recht, weil die Fälscher längst auch gängige Fahrzeuge wie bestimmte Varianten des Porsche 911 oder selbst den Golf GTI für sich entdeckt hätten.
Und es trifft nicht immer nur die ganzen Autos: Auch bei Ersatzteilen werde viel Schindluder getrieben, sagt Tobias Stieber. Er arbeitet im Team Brand Protection bei der Mercedes Heritage GmbH und berichtet für das Jahr 2024 von mehr als 600 internationalen Razzien, bei denen mehr als 1,6 Millionen Produktfälschungen im Wert von mehr als 129 Millionen Euro beschlagnahmt wurden. Dabei sei das bisweilen schwierig und die juristische Aufarbeitung oft unmöglich, so Stieber. Denn viele Online-Händler sitzen in Osteuropa oder Asien, wohin der Arm des Gesetzes nicht immer reicht, heißt es bei den Schwaben.
Natürlich verteidigt Mercedes damit seine Produktions-, Urheber und Markenrechte. „Aber es geht uns auch um den Schutz der Kunden“, sagt Stieber. Denn viele der Teile haben dann eben auch nicht die gewohnte Qualität, gehen früher kaputt oder bieten im schlimmsten Fall weniger Sicherheit. Das wird vor allem gefährlich bei Bremsscheiben, Rädern oder Lenkungsteilen, die Fälscher und Produktpiraten besonders gerne anbieten.
Zwar hat etwa Mercedes ein Lager mit 160.000 Ersatzteil-Positionen für 57 Baureihen vom Patent-Motorwagen bis zum Baby-Benz – und jedes Jahr kommen 20.000 bis 25.000 neue Bauteile dazu, berichtet Pressesprecher Peter Becker. Doch während die Besitzer millionenschwerer Klassiker bereitwillig Höchstpreise für Originalteile zahlen, geht die Zahlungsbereitschaft bei jüngeren Autos zurück.
„Deshalb gibt es neben Neuteilen bei vielen Firmen auch aufbereitete Altteile. Es gibt Rabatte, wenn man dem Hersteller die defekten Komponenten zur Wiederaufbereitung überlässt, und zahlreiche Altauto-Verwerter haben mittlerweile gut sortierte Online-Shops mit ausgebauten Originalteilen“, sagt Oldtimer-Experte Wilke. Es gibt also Alternativen, bei denen man sich ziemlich sicher sein kann, dennoch ein originales Teil zu erwischen. Die je nach Perspektive romantische oder nervige Suche nach passenden Teilen auf dem Schrottplatz gehöre indes eigentlich längst der Vergangenheit an, so Wilke.
Ohne Zweifel: Durch den Skandal um Kienle ist die Klassik-Szene erschüttert worden. Doch Experten wie Wilke und Hoffmann hoffen, dass es eher ein reinigendes Gewitter war und vor allem, dass der Vorfall die Sinne der Sammler geschärft hat und sie Oldtimer und Ersatzteile nicht mehr ganz so blauäugig einkaufen.
Der Skandal um Kienle hatte übrigens zumindest teilweise ein Happy End. Um sein Personal aufzustocken, sein Ersatzteillager zu füllen und zusätzliche Werkstattbereiche zurück ins Haus zu holen, hat das Mercedes Classic Center Teile der Kienle-Betriebsmittel und der Mechaniker übernommen.
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