Am ersten Jahrestag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel wird an vielen Orten in Deutschland an das Massaker und an den Gegenschlag im Gazastreifen erinnert. Am Brandenburger Tor in Berlin und Dutzenden anderen Orten weltweit verlasen Aktivisten um 5.29 Uhr - dem Beginn des Angriffs auf Israel am 7. Oktober 2023 - die Namen von 1.170 Ermordeten und 255 Entführten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht am Nachmittag beim Gedenken in Berlin, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) abends in Hamburg.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland beschrieb in einem neuen Lagebild den Ausnahmezustand seine Gemeinden seit einem Jahr. 42 Prozent der Gemeinden hätten dieses Jahr antisemitische Vorfälle wie Schmierereien, Drohanrufe oder Beleidigungen festgestellt, geht aus der Umfrage von August und September hervor. Den Angaben zufolge beteiligten sich Führungspersonen von 98 der 105 Gemeinden.
82 Prozent gaben demnach an, es sei unsicherer geworden, in Deutschland als Jüdin oder Jude zu leben und sich so zu zeigen. Im Vergleich zur vorherigen Umfrage des Zentralrats Ende 2023 stieg dieser Wert um vier Prozentpunkte. Zwei Drittel der Führungspersonen sehen negative Folgen für ihre Gemeinschaft. „Personell, emotional und organisatorisch sind die Gemeinden am Limit“, berichtete der Zentralrat.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erklärte, der Kampf gegen Antisemitismus überall in der Gesellschaft sei umso dringlicher, auch in Kunst und Kultur. „Die Zahl antisemitischer Vorfälle hierzulande hat seitdem ein erschreckendes Ausmaß angenommen“, warnte Roth. „Wenn Jüdinnen und Juden bei uns auf offener Straße attackiert werden, dann ist das eine beschämende Erinnerung an Bilder aus der dunkelsten Geschichte dieses Landes.“
Am 7. Oktober 2023 hatten Terroristen der radikal-islamistischen Hamas und anderer Gruppen etwa 1.200 Menschen in Israel getötet und etwa 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Dies war der Auslöser für den bis heute andauernden Gaza-Krieg. Zugleich schoss weltweit die Zahl antisemitischer Vorfälle in die Höhe. In Deutschland gibt es seither fast täglich propalästinensische Demonstrationen. Etliche sind auch für Montagabend in vielen deutschen Städten angekündigt, unter anderem in Berlin.
Um die Gedenkveranstaltungen und die Demonstrationen in der Hauptstadt zu sichern, sind mehr als 2.000 Polizisten aus der Hauptstadt und anderen Bundesländern im Einsatz. Bundespräsident Steinmeier nimmt nachmittags an einem interreligiösen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Charlottenburg teil.
In Hamburg ist in der Synagoge Hohe Weide am Abend eine Gedenkzeremonie mit Bundeskanzler Scholz geplant. In der Münchner Synagoge Ohel Jakob werden zu einer Gedenkveranstaltung unter anderem die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erwartet. Auch in vielen anderen Städten sind Gedenkveranstaltungen geplant.
Nach einem Jahr Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas beklagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, dass Islamisten in Deutschland zunehmend verharmlost würden. „Nach dem 7. Oktober sind die Schleusen gebrochen“, sagte Klein der „Rheinischen Post“ (Montag). Der deutsche Diskurs habe sich radikalisiert und verhärtet, gerade auch an Universitäten.
„Das sieht man etwa daran, dass rote Hamas-Dreiecke, die Zielmarkierungen sind, auf Gebäude gesprüht werden. Institute wurden besetzt und Menschen angegriffen, die mit dem Nahostkonflikt überhaupt nichts zu tun haben“, erläuterte Klein. Er kritisierte auch den Jubel migrantischer Gruppen in Deutschland über Irans Raketenangriff auf Israel. Der Beauftragte bemerkte auch: „Bei der Bevölkerung generell macht sich allerdings eine gewisse Abstumpfung beim Thema Antisemitismus bemerkbar. Auch die sichtbare, gezeigte Solidarität mit Israel lässt nach.“
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, übte in derselben Zeitung Kritik an propalästinensischen Demonstrationen und nannte sie schwer erträglich. Zugleich forderte Frei einen besseren Schutz von Juden in Deutschland.
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