Anne Frank mit Palästinenser-Tuch: Ein Bild des Holocaust-Opfers im Potsdamer Museum Fluxus+ sorgt für heftige Kritik. Schändung des Andenkens, Antisemitismus-Verdacht oder Freiheit der Kunst? Die Staatsanwaltschaft befasst sich inzwischen mit einer Strafanzeige. Jüdische Organisationen reagieren aufgebracht. Das Museum will das Porträt aber nicht abhängen.
Der Streit um die Ausstellung „COMUNE - Das Paradox der Ähnlichkeit im Nahostkonflikt“ des italienischen Künstlers Costantino Ciervo schwelt seit Wochen zwischen dem privaten Museum und der Jüdischen Gemeinde der Stadt Potsdam. Die Botschaft Israels in Deutschland bezeichnete das Bild von Anne Frank als „Delegitimierung Israels und Relativierung des Holocausts“.
Die Jüdin Anne Frank lebte während des Zweiten Weltkriegs in einem Versteck und schrieb ihr weltberühmtes Tagebuch. 1945 starb sie im Konzentrationslager Bergen-Belsen.
In der Potsdamer Ausstellung ist Anne Frank mit dem Palästinensertuch Kufiya um die Schultern zu sehen, schreibend auf einem Tablet. Der Künstler will damit die Frage des Genozids thematisieren, wie Ciervo, der in Berlin lebt und für kontroverse Arbeiten bekannt ist, dazu schreibt. Mit seinem Projekt will er auch „eine kritische Reflexion über Konflikte und über die Gemeinsamkeiten anregen, die scheinbar weit voneinander entfernte Kulturen verbinden“.
Als Reaktion auf den Streit hat das Museum Ende November neben dem Bild von Anne Frank ein Statement angebracht, in dem es unter anderem heißt: „Ihr Andenken als Opfer des Holocaust steht nicht nur für die Erinnerung an die Shoa, sondern wird zum universellen Symbol der Verurteilung von Gewalt“
Bei der Plattform X kritisierte die Botschaft Israels dagegen: „Das ist leider ein Paradebeispiel für Tendenzen in der Kulturszene: Unter dem Deckmantel künstlerischer Freiheit werden Geschichtsklitterung, Antisemitismus - und letztlich auch Terror - normalisiert.“
„Die einfachste Variante wäre, dieses Bild abzuhängen. Es verletzt die Gefühle der jüdischen Gemeinde“, sagte der Beauftragte gegen Antisemitismus des Landes Brandenburg, Andreas Büttner, der vor Wochen intervenierte. Das lehnt das Museum weiterhin ab. „Ein inhaltlicher Eingriff in die Ausstellung und was abzuhängen, kommt nicht infrage“, sagte der Geschäftsführer des Museums Fluxus+, Tamás Blénessy. Den Vorwurf des Antisemitismus weist er zurück.
Als Vorschlag für eine Lösung steht nun im Raum, dass die jüdische Gemeinde wiederum einen Textbeitrag mit ihrer Kritik verfasst, der neben dem Anne Frank-Porträt zu lesen ist. „Wir haben das zugesagt“, sagte Museumsmanager Blénessy der Deutschen Presse-Agentur. Es habe zuvor auch Überlegungen gegeben, einen Vorhang vor das Bild zu hängen mit einer „Trigger-Warnung“.
In der Ausstellung, die bis 1. Februar läuft, werden mehrere Porträts palästinensischer Figuren vor Landkarten mittels künstlicher Intelligenz in visuelle „Zwillinge“ transformiert. Dieselben Personen werden unter anderem mit Davidstern dargestellt.
Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, die das Synagogenzentrum in Potsdam betreibt, kritisierte in einem Bericht der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (PNN) am Dienstag, Kunstfreiheit, die auf Kosten gefährdeter Gruppen gehe, fördere keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt und keinen Beitrag zum Frieden. „Sie schürt weiter die Glut in einer Atmosphäre, in der Jüdinnen und Juden seit dem 7. Oktober 2023 einer Gewalteskalation ungeahnten Ausmaßes ausgesetzt sind.“
Zu der eingegangenen Strafanzeige, über die „Spiegel Online“ zuvor berichtete, und wie der Vorwurf lautet, will sich die Staatsanwaltschaft Potsdam bislang auf Nachfrage nicht äußern. Das Museum bezeichnete den juristischen Schritt als Versuch, „uns und den Künstler einzuschüchtern“.
Jetzt will sich die Oberbürgermeisterin der Stadt, Noosha Aubel (parteilos), vermittelnd einschalten. „Klären lässt sich das nur im Dialog“, sagte sie. „Es ist das eine, eine Ausstellung nach wissenschaftlichen Maßstäben zu kuratieren - das ist geschehen. Doch vor dem Hintergrund des Terroranschlags in Sydney bleibt bei der jüdischen Gemeinde ein ungutes Gefühl. Ich finde, auch das muss man ernst nehmen.“ Zu einem „Dialog auf Augenhöhe“ sei das Museum und der Künstler bereit, sagte Museums-Geschäftsführer Blénessy.
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