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Veröffentlicht am 01.10.2024 00:07

Fiat Topolino: Wenn Verzicht zum Vergnügen wird

Kleine Sause-Maus? Nein, der Fiat Topolino („Mäuschen“) schafft bauartbedingt nur 45 km/h. (Foto: Craig Pusey/dpa-tmn)
Kleine Sause-Maus? Nein, der Fiat Topolino („Mäuschen“) schafft bauartbedingt nur 45 km/h. (Foto: Craig Pusey/dpa-tmn)
Kleine Sause-Maus? Nein, der Fiat Topolino („Mäuschen“) schafft bauartbedingt nur 45 km/h. (Foto: Craig Pusey/dpa-tmn)

Er hat zwar vier Räder und einen Motor, aber ein richtiges Auto ist er nicht. Denn das, was uns Fiat da zu Preisen ab 9.890 Euro gerade als Wiedergeburt des Topolino präsentiert, ist noch rudimentärer als jener Kleinstwagen, der ab 1936 Italien mobil gemacht und den legendären 500er den Weg geebnet hat. Aber dafür fährt man in diesem modernen Leichtkraftfahrzeug ganz zeitgemäß elektrisch - frühestens sogar schon ab 15 Jahren.

Freiwillige Selbstbeschränkung

Weil für diese Fahrzeug- und Führerscheinklasse das Gewicht arg limitiert ist, geizen die Italiener mit der Ausstattung und sparen sich alle Extras. Und schneller als 45 km/h darf das „Mäuschen“ (ital. „Topolino“) von Gesetz wegen auch nicht rennen.Deshalb reicht ihm auch ein Motor von mageren 6 kW/8 PS, der mit seinen 44 Nm arg an den schubkarrengroßen Vorderrädchen reißen muss, damit überhaupt etwas vorangeht. All das klingt nach schmerzlichem Verzicht und nach argen Einschränkungen im Alltag. Auch das ist ein Grund, weshalb sich der deutsche Zwilling Opel Rocks E so rar macht auf unseren Straßen und Citroën den baugleichen Ami in Deutschland gar nicht erst anbietet.

Je größer die Stadt, desto größer der Spaß

Doch zur rechten Zeit am rechten Ort sieht die Sache schnell ganz anders aus. Denn der Topolino ist im genannten Trio das am liebevollsten gemachte Auto, das sich charmante Details leistet wie den Lederriemen über dem Handschuhfach oder den optionalen Gepäckträger am Heck, auf dem am besten noch ein Körbchen prangt. Und wer den Spaß noch steigern will, bestellt ihn als Dolcevita mit Kordeln statt Türen und großem Rolldach.

Wir drehen eine runde in Italien

Es braucht nur einen Trip über die Alpen, um die Perspektive zu ändern: Ein sommerlicher Samstagabend in Turin zum Beispiel hat noch nie so nach Dolce Vita geschmeckt, wie im Topolino, wie unsere Ausfahrt zeigt. Und je größer die Stadt ist, desto größer wird auch der Spaß.

Denn viel mehr als Schrittgeschwindigkeit ist ohnehin nicht drin auf dem Weg ins Centro, wenn die ganze Stadt sich auf den Aperitivo am Vittorio Emanuele II trifft. Wo man sonst mit 45 km/h Spitze oftmals zum Hindernis wird, schnurrt der kleine Stromer hier im dichten Verkehr flott voran, sucht sich in jedem noch so dichten Stadtverkehr seine Lücke und findet obendrein immer und überall einen Stellplatz.

Und die verwinkelten Altstadtgassen sind bei dem winzigen Wendekreis auch kein Problem. Klar, die Sitze sind so hart wie im Stadtbus und das Fahrverhalten ist so - nun ja - rustikal, als hätten sie die Achsen ohne Federung und Führung unter den Boden geschraubt.

Aber mit dem Kopfsteinpflaster einer italienischen Altstadt kann zuweilen selbst eine Mercedes S-Klasse überfordert wirken. Nur dass einem in der nicht jeder ein Lächeln schenkt. Und nein, das ist kein Mitleid, sondern Sympathie und kommt ganz tief von Herzen.

Social Distancing war gestern

So stromert man mit aufgeklappten Fenstern und dem Arm lässig auf der Brüstung durch die laue Nacht, stoppt für Pizza, Pasta und Gelato und stört sich immer weniger daran, dass einem bei nur 1,40 Meter Breite ein Beifahrer dabei dicht auf die Pelle rückt. Hey! Aber Corona ist ja vorbei, Social Distancing ein Schreckgespenst von einst und wo soll man sich sonst näher kommen wenn nicht im Topolino in einer italienischen Nacht?

Sonntags wird der kleine Stromer zum Star

Und damit ist das Wochenende ja noch nicht rum: Die große Stunde des kleinen Stromers schlägt am Sonntagmorgen. Ja, der Ausflug zur Kathedrale Superga auf dem Hausberg am Rande der Stadt ist erst eine Geduldsprobe: Das Mäuschen hat mächtig zu kämpfen mit der Steigung und dann gerät es noch zur Zitterpartie, weil von den 75 Kilometern Normreichweite kaum mehr was übrig bleibt. Und auch wenn der Topolino wie ein Staubsauger mit einem ausziehbaren Kabel an jeder Haushaltsbuchse nachladen kann, dauert der Boxenstopp geschlagene vier Stunden.

Doch dafür darf er als Elektroauto auf die zweifellos spektakulärste Strecke der Stadt: Eifrig dreht er deshalb eine Ehrenrunde auf La Pista, dem Oval auf dem Dach des alten Fiat-Stammwerks Lingotto, in dem schon sein Urahn das Laufen gelernt hat.

Fazit: Manchmal ist weniger mehr

Klein, preiswert und nachhaltig. Im Grunde ist der Topolino das richtige Auto zur rechten Zeit - wenn er denn ein echtes Auto wäre. Doch mit seinem mäßigen Tempo, der mickrigen Reichweite und dem bescheidenen Komfort will und kann er keinen klassischen Kleinwagen ersetzen. Aber er kann ihn ergänzen und dabei immer wieder beweisen, dass weniger manchmal mehr ist.

Vielleicht nicht für Berufspendler in Berlin und erst recht nicht auf dem platten Land. Aber als Nachtschwärmer auf den Spuren des Dolce Vita eignet er sich perfekt. Und zwar nicht nur in Turin, sondern auch in Münster oder Magdeburg. Schließlich steckt doch in jedem von uns ein kleiner Italiener, und das Leben schmeckt auch diesseits der Alpen süß. Datenblatt: Fiat Topolino 

 

 

 

 

 

© dpa-infocom, dpa:240930-930-248234/1


Von dpa
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