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Veröffentlicht am 24.03.2025 07:58

TV stets reich: Wo bleibt die Sozialkritik in Serien?

Szene aus der Serie „Marzahn Mon Amour“: Kathi Grabowski (Jördis Triebel), ihre Chefin Jenny Chan (Yvonne Yung Hee Bormann) und Kollegin Lulu Moll (Deborah Kaufmann). (Undatiertes Handout). (Foto: Oliver Vaccaro/ARD Degeto Fim/UFA Fiction GmbH/dpa)
Szene aus der Serie „Marzahn Mon Amour“: Kathi Grabowski (Jördis Triebel), ihre Chefin Jenny Chan (Yvonne Yung Hee Bormann) und Kollegin Lulu Moll (Deborah Kaufmann). (Undatiertes Handout). (Foto: Oliver Vaccaro/ARD Degeto Fim/UFA Fiction GmbH/dpa)
Szene aus der Serie „Marzahn Mon Amour“: Kathi Grabowski (Jördis Triebel), ihre Chefin Jenny Chan (Yvonne Yung Hee Bormann) und Kollegin Lulu Moll (Deborah Kaufmann). (Undatiertes Handout). (Foto: Oliver Vaccaro/ARD Degeto Fim/UFA Fiction GmbH/dpa)

Krimiserien, Krimiserien, Krimiserien - und hier mal eine Heimatserie und da mal eine Krankenhaus-Soap: Dieser recht eintönige Eindruck des fiktionalen Programms im deutschen Fernsehen kann schnell entstehen.

Wenn es dann mal eine sogenannte Sozialserie mit ärmeren Menschen und klischeefreien Figuren auf Augenhöhe gibt, dann ist die Aufregung schnell recht groß, dass es so etwas überhaupt noch geben kann.

Zuletzt war dies bei der Fußpflegesalon-Dramedy „Marzahn Mon Amour“ mit Jördis Triebel in der Hauptrolle der Fall, davor zum Beispiel im Jahr 2021 bei der Alleinerziehenden-Miniserie „Tina mobil“ mit Gabriela Maria Schmeide. 

Dass Zuschauerinnen und Zuschauer mal nah dran sind am Alltag einer normalen Familie mit wenig Einkommen, das geschieht nur noch selten. 

In „Marzahn Mon Amour“ geht es in der „Beauty Oase Marzahn“ unter anderem darum, dass die Betreiberin die Preise für die Fußpflege nicht erhöhen mag und kann - wegen ihrer klammen Kundschaft. Genau dies aber bringt sie als Unternehmerin in existenzielle Nöte. Ein soziales Dilemma.

In deutschen Serien spielt die Handlung heutzutage fast immer in der Mittel- oder Oberschicht, wo der Gedanke an den nächsten SUV-Kauf näherliegt als die Überlegung, ob überhaupt mal wieder eine Urlaubsreise möglich sein könnte. Es gibt einen, wenn man so will, chronischen Unterschichtmangel im Besserverdienenden-TV. 

Früher war das anders - zumindest gefühlt. Man denke an Serien wie „Drei Damen vom Grill“ und „Auf Achse“, die wie die TV-Nachwehen der sozialkritischen Filme von Rainer Werner Fassbinder wirkten. Später gab es auch noch „Die Hausmeisterin“, „Ritas Welt“, „Alles Atze“, „Para - Wir sind King“ - und natürlich jahrzehntelang die „Lindenstraße“.

„Sinkende Zahl an Produktionen des Genres Sozialdrama“

Armut beziehungsweise Durchschnittsverdienst dient heute im Fernsehen aber oft bloß als Vehikel für Comedy - oder für die obligatorische Krimihandlung. Es scheint, als habe das Fernsehen in neoliberalen Zeiten arme Leute als Vorführmasse in RTLzwei-Sozialreportagen ausgelagert - und in Realityshows.

„Es lässt sich eine sinkende Zahl an Produktionen des Genres Sozialdrama im traditionellen Fernsehen feststellen“, sagt die Medienwissenschaftlerin Joan Bleicher. „Jedoch sind sozialkritische Elemente in anderen Genres zu finden. Von zentraler Bedeutung sind Krimireihen wie der „Tatort” oder Krimiserien wie beispielsweise „Notruf Hafenkante” oder „Großstadtrevier”, die immer wieder auf aktuelle soziale Probleme in Form von Kriminalfällen aufmerksam machen.“

Andere Serien vermittelten dagegen jedoch „eher realitätsfernen emotionalen Sozialkitsch“, wie die Hamburger Professorin Bleicher es nennt. „Bei diversen Arztserien, der ZDF-Reihe „Frühling” oder der ARD-Reihe „Die Drei von der Müllabfuhr” finden sich einfache Lösungen für soziale Probleme. Mit der Realität haben diese leider wenig zu tun.“

Während das Kino noch manchmal soziale Stoffe erzählt („Systemsprenger“, „Das Lehrerzimmer“), sind im klassischen deutschen TV oft nur Hochglanzmenschen in großen Häusern und Wohnungen anzutreffen. 

Probleme sind hier eher mal eine anstrengende Fernbeziehung und alberne Eifersucht als Inflation und mangelhafte Gesundheitsfürsorge.

Die zu Recht gefeierte Drehbuchautorin Laila Stieler („Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, „Gundermann“, „Die Friseuse“) machte als Autorin der Serie „Tina mobil“ ihre eigenen Erfahrungen mit dem TV-Betrieb: „Das Problem, dass immer mehr Menschen trotz der vielen Arbeit, die ihre ganze Zeit frisst, nicht genug verdienen, scheint mir aktueller denn je“, sagt sie. 

Figuren, deren Leben von Existenzdruck dominiert ist, sind selten

„Die Serie „Tina Mobil” über eine mobile Bäckereiverkäuferin erreichte vor ein paar Jahren traumhafte Zuschauerzahlen.“ Noch heute werde sie auf Tina angesprochen, sagt Stieler. „Die ARD wollte und konnte sich keine zweite Staffel leisten. Aber wo sind sie, die Tinas, im Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens? Zu selten sehe ich Figuren, deren Leben und Alltag so von Existenzdruck dominiert ist, wie ich es in der Wirklichkeit oft erlebe.“

In ihrem Dorf in der Uckermark gebe es keinen Konsum, keine Verkaufsstelle, erläutert Stieler. „Bis vor einigen Jahren kam dreimal pro Woche ein Bäckerwagen mit Brot, Brötchen und dem Nötigsten. Das ist nun auch Geschichte. Das Bäcker-Mobil kam nicht durch den TÜV und die engagierte Verkäuferin ist in den verdienten Frühruhestand gegangen.“ 

Und was bleibe ihnen nun auf dem Dorf? „Wie geht es bei uns weiter? Mit jenen, die kein Auto haben, keinen Führerschein, keine Zeit für den ausgedünnten und langwierigen öffentlichen Nahverkehr?“

© dpa-infocom, dpa:250324-930-412482/1


Von dpa
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